Wohnen im Eigentum gibt kritische „Festschrift“ zum Geburtstag heraus / Überblick über 70 Jahre Wohnungseigentum und die ersten Gerichtsurteile zum neuen Gesetz

25.11.21. Am 01.12.2021 wird das neue Wohnungseigentumsgesetz 1 Jahr alt und das Wohnungseigentum ist 70 Jahre alt. Die größte Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz) seit 1951 hat für die Eigentümer von rund 10 Millionen Wohnungen gravierende gesetzliche Änderungen gebracht und einen enormen Beratungsbedarf geschaffen. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum (WiE) hat diesen Jahrestag zum Anlass genommen, einen detaillierten Überblick über die vergangenen „70 Jahre Wohnungseigentum“ in Deutschland verfassen – mit Zahlen, Daten und Fakten -, eine kritische Würdigung des neuen Gesetzes vorzunehmen und zu recherchieren, wie sich die Gesetzesänderungen in der Rechtsprechung schon ausgewirkt haben.

„Das“ Wohnungseigentum hat sich im Laufe der 70 Jahre stark ausdifferenziert

Bei der Verabschiedung des Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz) 1951 ging der Gesetzgeber von überschaubaren Wohnungseigentumsanlagen aus, die mehrheitlich von Selbstnutzern bewohnt würden. Seither haben sich die Strukturen der WEGs und der Wohnungseigentumsmarkt stark ausdifferenziert. Die Größe der Wohnungseigentums-anlagen variiert extrem - von zwei Wohneinheiten bis über tausend Wohnungen. Die Nachfrage nach neuen, mittel- bis hochpreisigen Eigentumswohnungen ist gestiegen. Zeitgleich hat der „Umwandlungsmarkt“ das Wohnungseigentum seit Ende der 80er Jahren erheblich verändert: Die Verkäufe großer, häufig unsanierter Mietwohnungsbestände mit anschließender Einzelprivatisierung von „Filetstücken“ oder „Schrottimmobilien“ an Mieter oder Kleinanleger zeigen weitreichende Folgen für die einzelne Wohnanlage, die Eigentümergemeinschaft, die Miteigentümer sowie das Quartier und den Stadtteil. Im positiven Fall hat sich eine stabile, engagierte WEG gebildet, im negativen Fall verwahrlosten die Gebäude und verloren Eigentümer ihr Vermögen – ehedem erworben zur Selbstnutzung oder für die Altersvorsorge.

10 Millionen Eigentumswohnungen in Deutschland – mehr als 22% aller Wohnungen – eine Erfolgsgeschichte?

2011 wurde mit Überraschung festgestellt, dass es erheblich mehr Eigentumswohnungen gab als vom Statistischen Bundesamt, Forschungsinstituten und der Politik angenommen. Bald ein Viertel aller Wohnungen in Deutschland waren demnach Eigentumswohnungen, mehr als doppelt so hoch wie der Wohnungsbestand von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen zusammen. 2021 liegt die Zahl der Eigentumswohnungen fast bei der Zehn-Millionen-Marke.

Heute sind die Wohnungseigentümer keine Gruppe von Gleichgesinnten: Neben den selbst nutzenden Wohnungseigentümern treten bundesweit verstreut wohnende Vermieter (Kleinanleger) von Eigentumswohnungen auf und wenige Unternehmen als Mehrheitseigentümer. Relativ junge „Einsteiger“ treffen auf ältere, langjährige Bewohner mit verstetigten Gewohnheiten. Die Finanz- und Interessenlage der verschiedenen Eigentümer ist daher höchst unterschiedlich und in ihrer Divergenz nicht unbedingt von Vorteil für die Stabilität von Eigentümergemeinschaften und den Werterhalt der Immobilien. „Die Brisanz beim Wohnungseigentum liegt gerade in der Kombination aus Recht, Geld und Gruppendynamik“ so Gabriele Heinrich, Vorständin von WiE. 

Ohne Wohnungseigentümer keine Klimawende

Die hohe Zahl an Eigentumswohnungen, die Erfordernisse für eine Energie- bzw. Klimawende und die gestiegene Nachfrage nach Wohnungen haben das Wohnungseigentum endlich stärker in das Blickfeld von Politik, Fachöffentlichkeit und Medien gerückt. Klar wurde: Ohne Einbeziehung der Wohnungseigentümer in politische Programme, ohne gesetzliche Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz, um das Wohnungseigentum für die Zukunft fit zu machen, und ohne Qualifizierung der Verwalter*innen wird ein bedeutender Immobiliensektor von politischen Entwicklungen „abgehängt“, einem irrationalen, unregulierten Marktmechanismus preisgegeben.

Die „Entdeckung“ des Wohnungseigentums hat allerdings nicht dazu geführt, dass alle Anpassungen an die Zukunft verbraucherorientiert waren. Die größte Kritik ist, dass die Interessen, Belange und Probleme der Wohnungseigentümer*innen bei der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes viel zu wenig Beachtung gefunden haben. Dabei hätte sich gerade das Wohnungseigentumsgesetz für ein partizipatives Gesetzgebungsverfahren angeboten, da die Zielgruppen klar und überschaubar sind. Gleiches gilt für die Verordnung zur Zertifizierung der Verwalter, die ab 2022 gelten soll.

Covid-19-Pandemie bremst aus

Stark eingeschränkt war die WEG-Verwaltung während der Covid-19-Pandemie. Eine von WiE durchgeführte Befragung im Juli belegte einen großen Durchführungsstau und bei den Wohnungseigentümern einen „Rückzug ins Private“. Ein Digitalisierungsschub haben die bisherigen beiden Lockdowns nicht ausgelöst. Zwei Drittel der Befragten sahen negative wirtschaftliche, bauliche wie finanzielle Folgen durch die verspätete Durchführung oder die Nichtdurchführung von Versammlungen.

Erste Gerichtsurteile zum neuen Wohnungseigentumsgesetz

Viel Hoffnung wird in zukünftige Entscheidungen des BGH gesetzt, um Lücken im neuen Gesetz zu schließen und praxistaugliche Strategien zur Ausschöpfung der den Wohnungseigentümern zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugeben.

Die erste Auswertung der Gerichtsurteile zum neuen WEGesetz zeigte Trends und Schwerpunkte bei der Prozessführungsbefugnis („wer darf wen wann verklagen?“), bezüglich der Bedeutung des Verwaltervertrags nicht nur als Vertrag mit der WEG als Partner, sondern als Vertrag mit Schutzwirkung auch für die einzelnen Eigentümer. Ein wichtiges Thema ist die Prozessführung sich selbst verwaltender, also verwalterloser WEGs. Hier gibt es Gesetzeslücken, die die Handlungsfähigkeit dieser WEGs einschränken.

Die großen Zukunftsthemen für die Wohnungseigentümer sind

  • die Entwicklung verbraucher- und praxisorientierter Strategien zur Umsetzung des neuen Wohnungseigentumsgesetzes und zur Nutzung bzw. Ausschöpfung der den Wohnungseigentümern zur Verfügung stehenden Mittel.
  • die Durchführung baulicher Veränderungen im Hinblick auf Klimaschutz und Abbau von Sanierungsstaus.
  • die Chancen der Digitalisierung der WEG-Verwaltung zu nutzen und die Kommunikation unter den Eigentümern zu verbessern.
  • den Generationenwechsel unter den Eigentümern in den WEGs konfliktfrei oder konfliktlösend zu gestalten.

„In Bezug auf das neue Wohnungseigentumsgesetz wird konstatiert: Nach der Reform ist vor der Reform und so setzen wir darauf, dass die nächsten Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz ihren Ausgangspunkt bei den Problemen der Eigentümer nehmen.“ hofft Heinrich und ergänzt. „Denn die werden gebraucht, wenn die Klimawende ein Erfolg werden soll.“

Sowohl der Überblick über 70 Jahre Wohnungseigentum als auch die Auswertung von einem Jahr Rechtsprechung zum neuen WEGesetz können nachgelesen werden unter 70 Jahre Wohnungseigentum.

 

Über Wohnen im Eigentum:

Wohnen im Eigentum ist bundesweit aktiv, Mitglied im Verbraucherzentrale Bundesverband und vertritt speziell die Wohnungseigentümer. Parteipolitisch neutral und unabhängig engagiert sich WiE für ihre Interessen und Rechte in der Öffentlichkeit sowie gegenüber Politik und Wirtschaft. WiE fordert mehr Verbraucherschutz und Markttransparenz auf dem Bau-, Wohnungs- und Wohnmarkt. Seine Mitglieder unterstützt WiE unter anderem mit kostenfreier Telefonberatung durch Rechtsanwälte und Architekten, kostenlosen Online-Vorträgen sowie weiteren Beratungsdienstleistungen rund um die Themen Eigentumswohnung, Bauen und Modernisieren. Weitere Informationen: https://www.wohnen-im-eigentum.de