10.11.2022. WiE-Mitglied Ronny dos Santos ist Beirat in einer großen Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) in Hamburg. Er erläutert im Interview, wie WEGs eine für sie passende Erhaltungsrücklage berechnen können und wie seine WEG die Zuführung zur Erhaltungsrücklage für eine große Sanierung angepasst hat.

WiE: "In Ihrer WEG läuft seit einigen Jahren eine große Sanierungsmaßnahme. Wie ist Ihre WEG vorgegangen, um diese zu finanzieren?"

Ronny dos Santos: „Unsere WEG ist mit 219 Wohneinheiten, 202 Tiefgaragen-Stellplätzen sowie einigen Gewerbeeinheiten recht groß. Vor einigen Jahren war klar, dass wir die Fassaden, Balkone, das Dach und die Dachterrassen sanieren müssen. Unsere damals vorhandene Rücklage reichte aber keinesfalls für solch eine große Maßnahme aus. Als klar war, wie hoch die Kosten ausfallen werden, haben wir in der Eigentümerversammlung alle Optionen zur Finanzierung ausführlich diskutiert – und es zeigte sich, dass die große Mehrheit der Eigentümer keine Sonderumlage wollte, denn die wäre sehr hoch ausgefallen, etwa 100.000 Euro pro Wohnung. Auch eine Sonderumlage, aufgeteilt auf die einzelnen Bauabschnitte, wollte die Mehrheit nicht – denn Sonderumlagen sind immer mit Zahlungsausfallrisiken verbunden. Daher beschlossen wir, die Höhe der Zuführung zur Erhaltungsrücklage zu verdreifachen (von einem Euro pro Quadratmeter Wohnfläche auf drei Euro monatlich) und die Sanierung schrittweise, also in Bauabschnitten durchzuführen. Die Maßnahme wurde in sieben Abschnitte gegliedert, die je nach Dringlichkeit abgearbeitet werden. Das funktioniert bisher ganz gut. Wir gehen jetzt in den vierten Bauabschnitt. Allein diese Sanierung dauert insgesamt zehn bis 15 Jahre, ohne dass wir andere Sanierungen wie die der Heizung oder der Fahrstühle angegangen sind. Das wird auch noch kommen.“

WiE: „Ihre WEG ist also sozusagen aus der Not heraus tätig geworden und hat die Zuführung zur Erhaltungsrücklage angepasst. Welche Möglichkeiten gibt es denn grundsätzlich für WEGs, sich für Sanierungen ein gutes Polster anzusparen?“

Ronny dos Santos: „Es gibt verschiedene Berechnungsmöglichkeiten, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Grundsätzlich kann man sagen: Je größer eine WEG, desto eher sollte sie mit einer elementorientierten Berechnungsmethode arbeiten. Dabei wird die Höhe der Zuführung mithilfe einer speziellen Software durch einen externen Baufachmann ermittelt – und zwar auf Basis der einzelnen Elemente einer Immobilie, zum Beispiel Fenster, Fassaden, Dächer, und deren unterschiedlicher Lebensdauer. Das ist sehr komplex. Man schaut in Jahresschritten, welche Elemente aufgrund ihrer Lebensdauer voraussichtlich wann saniert werden müssen. Welche Sanierungen fallen also in drei Jahren, in fünf Jahren, in zehn Jahren, in 20 Jahren am Gebäude jeweils an und welche Kosten müssen hierfür kalkuliert werden? Daraus leitet man dann die Zuführung zur Erhaltungsrücklage ab.“
 

WiE: "Und was ist mit kleinen WEGs?"

Ronny dos Santos: „Für diese ist solch ein Vorgehen häufig (zu) teuer, denn allein die Ermittlung durch einen externen Experten kostet natürlich Geld. WEGs können sich stattdessen an der sogenannten Zweiten Berechnungsverordnung orientieren. Diese dient als Berechnungsgrundlage im sozialen Wohnungsbau und findet auch im Wohnungseigentumsrecht Anwendung – insbesondere bei der Frage, wie hoch die Zuführung zur Erhaltungsrücklage für eine WEG sein sollte. Alternativ macht eine Berechnung anhand des Objekts Sinn. Hierfür kann man zwischen verschiedenen Formeln wählen. Bei der Peterschen Formel wird davon ausgegangen, dass innerhalb von 80 Jahren der eineinhalbfache Wert der Herstellungskosten einer Immobilie an Instandhaltungskosten anfallen – wovon 65 bis 70 Prozent das Gemeinschaftseigentum betreffen. Hier würden bei 2.000 Euro Herstellungskosten pro Quadratmeter Wohnfläche eine Zuführung von 24,38 Euro pro Quadratmeter im Jahr herauskommen. Die Formel von Stein hingegen besagt, dass die jährliche Instandhaltung pro Quadratmeter Wohnfläche etwa 0,8 bis 1 Prozent des Kaufpreises beträgt. Das würde also beispielsweise bei einem Kaufpreis von 2.000 Euro pro Quadratmeter eine Erhaltungsrücklage in Höhe von 16 bis 20 Euro pro Quadratmeter jährlich ergeben. Bei der Formel von Hauff/Homann wird davon ausgegangen, dass der Anteil des instandsetzungsbedürftigen Gemeinschaftseigentums am Marktpreis 25 Prozent beträgt und der Planungshorizont 50 Jahre beträgt. Hier kommt man auf eine Zuführung von 10 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche pro Jahr.

Wichtig: Egal, welche Formel angewandt wird, sie kann immer nur Anhaltspunkte liefern. Wie hoch eine angemessene Rücklage für die WEG sein sollte, hängt immer vom Einzelfall ab, unter anderem von der bisher vorhandenen Rücklage, vom Alter und Größe der Immobilie und von deren Ausstattung. Gibt es beispielsweise einen Fahrstuhl oder eine Tiefgarage, fallen natürlich in der Regel mehr Reparaturen und Sanierungen an als in einer Immobilie, die nicht damit ausgestattet ist. Darüber hinaus spielt auch die Verwaltung bei der Frage nach der Angemessenheit der Höhe der jeweiligen Rücklage eine gewichtige Rolle. Denn per Gesetz ist sie verpflichtet, für eine angemessen hohe Zuführung zu sorgen. Was angemessen ist, wird aber nirgendwo definiert, weswegen hier verschiedene Meinungen existieren und es kein 'richtig‘ und ‚falsch‘ gibt.“