19.08.2022.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) plant eine wichtige Änderung im Wohnungseigentumsgesetz: die Einführung einer reinen Online-Eigentümer- versammlung. Wohnungseigentümer*innen sollen sich per einstimmigen Beschluss in der Eigentümerversammlung für diese Art der Durchführung von Eigentümerversammlungen entscheiden können. Wohnen im Eigentum hat die 11 wichtigsten Argumente zusammengetragen, warum diese Gesetzesänderung keine Verbesserung für die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) und die Wohnungseigentümer*innen mit sich bringt. Im Gegenteil.

Argumente gegen die reine Online-Eigentümerversammlung:
- Schon jetzt können Wohnungseigentümer*innen Online an Eigentümerversammlungen teilnehmen, wenn sie die Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen mit Mehrheit beschlossen haben. Es gibt bei hybriden Eigentümerversammlungen keine Verpflichtung für Eigentümer*innen, vor Ort zu erscheinen. Nur die Verwaltung muss vor Ort sein.
- Es besteht die Gefahr, dass ältere und bildungsbenachteiligte Eigentümer*innen ausgegrenzt werden, die technisch nicht so versiert sind oder nicht über die erforderliche EDV-Ausstattung verfügen, um an Videokonferenzen teilzunehmen. Vor wichtigen Abstimmungen in der Eigentümerversammlung können sie nicht mitdiskutieren oder die Diskussion zu wichtigen Beschlüssen nicht selbst mitverfolgen, sondern nur über eine Vertretungsollmacht an der Abstimmung teilnehmen.
- Die Möglichkeiten zur Diskussion und Entscheidungsfindung sind in reinen Online-Eigentümerversammlungen begrenzt. Direkte Gespräche zwischen Eigentümern untereinander in der Versammlung oder in Pausen wären nicht mehr möglich, obwohl der persönliche Austausch und das Miteinander von zentraler Bedeutung sind. Das kann durch Videokonferenzen nicht ersetzt werden.
- Die reine Online-Versammlung führt auch nicht zu schnelleren Entscheidungen als eine hybride Versammlung, wie es Verwalterverbände darstellen. Vielmehr kommt es darauf an, wie gut die Eigentümer*innen informiert sind, wie transparent die Verwaltung arbeitet oder sich engagiert und ob es einen respektvollen Umgang miteinander und eine gute Diskussionskultur gibt.
- Ausgrenzung von der direkten Teilnahme wird zu vermehrten Vollmachtserteilungen an die Verwaltungen oder Miteigentümer*innen führen, wodurch sich die Missbrauchsgefahr erhöhen kann.
- Die Möglichkeiten der Stimmrechtsausübung wird unnötig auf eine Variante (online) reduziert. Die Wohnungseigentümer*innen haben dann keine Wahl mehr, selbst zu entscheiden, ob sie persönlich vor Ort oder online am Bildschirm teilnehmen wollen. Die reine Online-Versammlung stellt aus Sicht von WiE somit einen Eingriff in das Stimmrecht (in die Stimmrechtsausübung) der Wohnungseigentümer dar – ein grundrechtlich geschütztes Kernrecht (Art. 14 Grundgesetz).
- Mit der Gesetzesreform 2020 hat die Eigentümerversammlung als zentrales alleiniges Entscheidungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) mehr Verantwortung erhalten. Nur über die Eigentümerversammlung können die Wohnungseigentümer noch auf die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, dessen Finanzierung und bauliche Veränderungen Einfluss nehmen. Die Wohnungseigentümer*innen müssen sich demnach als Gemeinschaft verstehen und die Verwaltung muss immer versuchen, „alle Eigentümer ins Boot“ zu holen. Das wird bei einer reinen Online-Versammlung oft nicht möglich sein, s.o.
Die Kritik am einstimmigen Beschluss in der Eigentümerversammlung zur Einführung reiner Online-Versammlungen:
- eine Einstimmigkeit in der Eigentümerversammlung suggeriert die Zustimmung aller Wohnungseigentümer bzw. die einer sehr großen Mehrheit. Dem ist aber nicht so. Eigentümerversammlungen sind immer beschlussfähig, unabhängig davon, wie viele Eigentümer anwesend sind. Sehr selten nehmen alle Eigentümer daran teil. Außerdem kommt es nur auf die JA-Stimmen der Teilnehmenden an, Enthaltungen werden nicht berücksichtigt.
- Es besteht die Gefahr, dass Unruhe, Stress und Konflikte in die Gemeinschaft getragen und auftreten werden, zwischen der Verwaltung und den Befürworter*innen der reinen Online-Versammlung auf der einen Seite und den skeptischen bis ablehnenden Wohnungseigentümer*innen auf der anderen Seite. Dann ist zu befürchten, dass Druck auf Eigentümer*innen ausgeübt wird, dem Beschluss zuzustimmen oder zumindest nicht mit Nein zu stimmen, um nicht als "Bremser" oder Kostentreiber dazustehen.
- Es ist ungeklärt, ob solch ein Beschluss überhaupt angefochten werden kann. Außerdem ist unklar, wie der Beschluss für eine reine Online-Versammlung rückgängig gemacht werden kann, wenn sich die reine Online-Versammlung nicht bewährt. Wird die Gesetzesänderung so gestaltet werden, dass hierfür eine einzige Gegenstimme ausreicht?
- Ein Beschluss über reine Online-Versammlungen wirkt in die Zukunft. Rechtsnachfolger (Erben, Käufer) sind mit betroffen, da der Beschluss bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft fortwirkt. Ein so gravierender Eingriff wird vielfach nicht erwartet werden. Ihn zu kennen setzt Einblick in die Beschlusssammlung voraus. Dieser Einblick erfolgt oft erst nach dem Kauf des Wohnungseigentums.
Die Notwendigkeit und Eilbedürftigkeit dieser Gesetzesänderung ist nicht nachvollziehbar. Die Möglichkeit der Online-Teilnahme gibt es erst seit dem 01.12.2020. Deshalb sollten erst einmal Erfahrungen mit diesem Instrument gesammelt werden. Setzt es sich durch, besteht für die reine Online-Versammlung erst recht kein Bedarf. Es gibt weit wichtigeren Änderungsbedarf im WEGesetz: Erleichterungen bei der Beschlussfassung zur Installation von Solaranlagen und weiteres zur Umsetzung der Energie- und Klimawende; die Förderung der Selbstverwaltung; Klarstellungen bei dem noch verbleibenden Haftungsanspruch einzelner Wohnungseigentümer*innen im Schadensfall gegen die Verwaltung.
Fazit: Was unter dem Deckmantel des Fortschritts und der Digitalisierung vorangetrieben werden soll, ist weder notwendig noch wird es nachvollziehbar begründet. WiE fragt deshalb: Welche 11 Argumente hat das Bundesjustizministerium, um die Gesetzesänderung weiter zu verfolgen?
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