Argumente sprechen gegen Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung / Pläne des Bundesjustizministeriums sind weder nachvollziehbar noch begründet

 

12.06.2023. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat einen Referentenentwurf für  eine zentrale Änderung im Wohnungseigentumsgesetz (WEGesetz) auf den Weg gebracht: Es geht um die Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung (virtuelle Eigentümerversammlung). Wohnungseigentümer*innen sollen sich künftig in der Eigentümerversammlung mit einer ¾-Mehrheit der abgegebenen Stimmen für diese Versammlungsart entscheiden können. Wohnen im Eigentum (WiE) hat die 11 wichtigsten Argumente zusammengetragen, warum die beabsichtigte Gesetzesänderung die Situation der Wohnungseigentümer*innen nicht verbessert, sondern verschlechtert.

 

Bald alles nur noch online besprechen?
©WiE

Wohnungseigentümer*innen erörtern und entscheiden alle Aspekte, die für das Wohnungseigentum und das Zusammenleben in der Gemeinschaft bedeutsam sind, in ihrer Eigentümerversammlung. Diese findet meistens einmal im Jahr statt. Sie tauschen sich dort aus und fassen Beschlüsse, die die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, dessen Erhaltung und ihre Finanzierung sowie bauliche Veränderungen betreffen. Umso wichtiger ist es, dass alle Wohnungseigentümer*innen daran teilnehmen können. Dafür gibt es aktuell zwei Möglichkeiten: die Teilnahme vor Ort oder – wenn es die Mehrheit der Eigentümer*innen beschließt - die zusätzliche Online-Teilnahme im Rahmen einer hybriden Eigentümerversammlung.

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) plant nun die Einführung einer dritten Variante - der reinen Online-Eigentümerversammlung, im Referentenentwurf virtuelle Eigentümerversammlung genannt. An dieser soll nur noch online teilgenommen werden können. Eigentümer*innen können dies mit mindestens ¾ der abgegebenen Stimmen beschließen. Wohnen im Eigentum hat 11 der wichtigsten Argumente gegen die geplante Gesetzesänderung zusammengestellt:

 

  • Reine Online-Eigentümerversammlungen bedeuten einen Eingriff in das Stimmrecht der Wohnungseigentümer*innen,­ ein Kernrecht aus dem Wohnungseigentum – dessen Notwendigkeit, Sinn und Nutzen durch das BMJ nicht begründet wird. Es wurde auch keine Evaluation durchgeführt, keine Wirkungsanalyse der neu eingeführten Hybrid-Eigentümerversammlung, keine empirischen Erfahrungen mit dem neuen WEGesetz ausgewertet.
  • Schon jetzt können alle Eigentümer, wenn sie die Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen mit Mehrheit beschlossen haben, online an der Eigentümerversammlung teilnehmen. Es gibt bei hybriden Eigentümerversammlungen keine Verpflichtung für Eigentümer, vor Ort zu erscheinen. Nur die Verwaltung muss vor Ort sein.
  • Die Möglichkeiten der Stimmrechtsausübung wird unnötig auf eine Variante (online) begrenzt. Die überstimmten Wohnungseigentümer haben dann keine Wahl mehr, selbst zu entscheiden, ob sie persönlich vor Ort oder online am Bildschirm teilnehmen wollen.
  • Beschlüsse werden durch eine reine Online-Eigentümerversammlung nicht schneller und auch nicht besser gefasst werden. Entscheidend ist vielmehr wie gut die WEG aufgestellt ist, wie gut alle Eigentümer informiert werden und vernetzt sind, ob es eine Diskussionskultur unter den Eigentümern gibt und wie transparent die Verwaltung arbeitet oder sich engagiert.
  • Es besteht die Gefahr, dass ältere und bildungsbenachteiligte Eigentümer*innen, die technisch nicht versiert und nicht ausgestattet sind, ausgegrenzt werden, also nicht mehr persönlich an Eigentümerversammlungen teilnehmen können. Bei wichtigen Abstimmungen in der Eigentümerversammlung können sie dann nicht mitdiskutieren und mit beschließen, die Diskussionen und Entscheidungen zu wichtigen Beschlüssen nicht selbst mitverfolgen, sondern nur per Vollmacht an der Abstimmung teilnehmen.
  • Es besteht die Gefahr, dass Unruhe, Stress und Konflikte in die Gemeinschaft getragen und auftreten werden, zwischen der Verwaltung und den Befürwortern der reinen Online-Versammlung auf der einen Seite und den skeptischen bis ablehnenden Wohnungseigentümer*innen auf der anderen Seite. Dann ist zu befürchten, dass Druck ausgeübt werden wird, um die reine Online-Versammlung durchzusetzen. Mit einer hybriden Form kann allen Interessen Rechnung getragen werden.
  • Rechtsnachfolger*innen sind mit betroffen, da der Beschluss bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft fortwirkt. Ein Beschluss wie im Referentenentwurf vorgesehen, gilt beim Verkauf der Immobilie auch für Rechtsnachfolger*innen (Erben, Käufer der Wohnung). Ein so gravierender Eingriff wird vielfach nicht erwartet werden. Ihn zu kennen setzt Einblick in die Beschlusssammlung voraus. Dieser Einblick erfolgt oft erst nach dem Kauf des Wohnungseigentums.
  • Es ist noch ungeklärt, wie der Beschluss für eine reine Online-Versammlung rückgängig gemacht werden kann, wenn sich die reine Online-Versammlung nicht bewährt. Mit der geplanten Gesetzesänderung könnte die Online-Versammlung nämlich zum Standard werden – denn der Referentenentwurf sieht vor, dass die Einführung reiner Online-Versammlungen auf drei Jahre festgelegt werden kann. Das kann theoretisch jedes Jahr erneuert werden.
  • Es gibt wichtigeren Änderungsbedarf im WEGesetz. Solche sind z.B. Erleichterungen bei der Selbstverwaltung kleinerer WEGs und weiteres zur Umsetzung der Energie- und Klimawende, Klarstellungen bei dem noch verbleibenden Haftungsanspruch einzelner Wohnungseigentümer*innen im Schadensfall gegen die Verwaltung.
  • Die Eilbedürftigkeit der geplanten einzigen Änderung ist nicht nachvollziehbar. Die letzte umfassende Gesetzesreform liegt erst wenige Jahre zurück.
  • Die Wohnungseigentümer*innen müssen sich als Gemeinschaft sehen und immer versuchen, „alle ins Boot“ zu holen. Mit der letzten Gesetzesreform 2020 hat die Eigentümerversammlung als alleiniges und einziges Entscheidungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zentrale Bedeutung und mehr Verantwortung erhalten.

Fazit: Die reine Online-Eigentümerversammlung ist weder notwendig noch wird sie nachvollziehbar begründet. WiE fragt deshalb: Welche 11 Argumente hat das Bundesjustizministerium, um die Gesetzesänderung weiter zu verfolgen?