Eigentümerrechte und Minderheitenschutz müssen vor Interessen von Verwalter*innen und Wohnungswirtschaft stehen / Hybride Eigentümerversammlung berücksichtigt alle Interessengruppen

01.06.2023. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum (WiE) und weitere Verbände hatten davor gewarnt, wurden aber offenbar nicht gehört: Das Bundesjustizministerium (BMJ) plant, dass reine Online-Eigentümerversammlungen bereits mit einer ¾-Mehrheit beschlossen werden können. WiE ist empört und beklagt, dass die Kernrechte der Eigentümer*innen damit beschnitten würden. „Die Kritik an der Online-Eigentümerversammlung wurde in den Wind geschrieben“, sagt WiE-Vorständin Gabriele Heinrich.

Entgegen Bedenken und Kritik von mehreren Seiten hat das FDP-geführte Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der vorsieht, dass reine Online-Eigentümerversammlungen mit einer ¾-Mehrheit beschlossen werden können. „Das ist noch mal eine deutliche Verschlechterung gegenüber der ursprünglichen Planung“, sagt Gabriele Heinrich, Vorständin von WiE. Im vergangenen Sommer hatte sich der Staatssekretär im BMJ, Dr. Benjamin Strasser, noch dafür ausgesprochen, reine Online-Versammlungen nur zuzulassen, „wenn alle Eigentümerinnen und Eigentümer damit einverstanden sind“. Nun soll eine Zustimmung aller Beteiligten nicht mehr nötig sein. Hier wird jetzt offenbar den Verwaltungen und der Wohnungswirtschaft in die Hände gespielt, um ihnen die Arbeit zu erleichtern, befürchtet WiE – eine reine Online-Versammlung ist für Verwaltungen viel bequemer durchzuführen als eine hybride oder eine Präsenzversammlung. Wohnen im Eigentum fordert hingegen, die Tür der Präsenzteilnahme immer offen zu halten. Niemand sollte ausgeschlossen werden, nur weil er kein Internet nutzt oder nicht die notwendige Technik hat.

„Das BMJ ist offenbar unzugänglich für die Stimmen der Wohnungseigentümer*innen“, beklagt Heinrich. Die Versammlung ist das Herzstück der Eigentümergemeinschaft, in der alle wesentlichen Entscheidungen getroffen werden. Es ist ein Ort der Willensbildung, aber auch ein Ort zum persönlichen Austausch. „Das kann eine reine Online-Versammlung schlicht nicht leisten“, so Heinrich. Ziel sei, dass Eigentümer*innen mitbestimmen können – ihr Rede- und Stimmrecht unmittelbar ausüben können und Beschluss-Anträge stellen. „Online-Software kann keine lebendige Demokratie ersetzen – das müsste doch auch der FDP, die sich die Freiheit des Individuums auf die Fahne schreibt, klar sein.“

Zudem sieht die neue Regelung vor, dass die Einführung reiner Online-Veranstaltungen auf drei Jahre festgelegt werden kann. Das könne theoretisch jedes Jahr erneuert werden. „So würde die Online-Versammlung zum Standard“, befürchtet Heinrich. Die Möglichkeiten der Stimmrechtsausübung wird so unnötig auf eine Variante begrenzt. Für diese Eingrenzung gibt es keinen zwingenden Grund. Schon jetzt können alle Eigentümer*innen, wenn sie die Durchführung hybrider Eigentümerversammlungen mit Mehrheit beschlossen haben, online daran teilnehmen. Sind alle Eigentümer*innen (Allstimmigkeit) dafür, kann auch jetzt schon eine reine Online-Versammlung stattfinden. Das Argument, Beschlüsse würden durch reine Online-Eigentümerversammlungen schneller gefasst, überzeugt nicht. „Es kommt vielmehr darauf an, wie gut die Versammlungen vorbereitet sind, wie gut die Kommunikation unter den Eigentümer*innen läuft und wie transparent die Verwaltung arbeitet“, so Heinrich.

Juristen und Seniorenverbände sehen Gefahr der Ausgrenzung

Auch mehrere Richter, Professoren und Fachjuristen hatten im vergangenen Jahr davor gewarnt, dass die reine Online-Versammlung vor allem ältere sowie online unerfahrene Eigentümer*innen benachteiligen könnte. „Die Mitbestimmungsrechte müssen persönlich ausgeübt werden können“, heißt es in dem Offenen Brief, der in der Zeitschrift für Miet- und Raumrecht erschienen ist. Die Eigentümerversammlung dürfe nicht „zu Gunsten falsch verstandener Digitalisierungsziele entwertet werden“. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) sowie die Bundesdelegiertenversammlung der Liberalen Senioren hatten sich gegen die reine Online-Eigentümerversammlung ausgesprochen. Solange es für die analoge Teilhabe einen Bedarf gebe, müsse es auch ein Recht darauf geben.

Gesetz soll nicht nur Verwaltung und Wohnungswirtschaft dienen

„Offenbar finden nur die Interessen der Verwalterverbände und der Wohnungswirtschaft beim BMJ Gehör“, kritisiert Heinrich. Deren Interesse, Organisations- und Arbeitsaufwand für die Versammlungen gering zu halten, dürfe nicht in erster Stelle stehen. Auch habe das BMJ die Wohnungseigentümer*innen dazu bislang nicht selbst befragt. „Es besteht die Gefahr, dass das Gesetz zur Vereinfachung der WEG-Verwaltung für externe Gewerbetreibende und Dienstleistende verkommt“, so Heinrich.

 

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