09.05.2019. In einem Hauruckverfahren sind im Oktober 2018 die Fassadenverkleidungen der fünf Hochhäuser einer Nürnberger WEG wegen angeblicher Brandgefahr abgerissen worden – nachdem die Mehrheit der Eigentümer unter Androhung einer Zwangsräumung der Maßnahme zugestimmt hatte (wir berichteten). Welche Versäumnisse seine WEG der damaligen Verwaltung vorwirft, welche enormen Kosten nun auf die Eigentümer zukommen und ob diese die Kosten überhaupt stemmen können, erzählt der Verwaltungsbeiratsvorsitzende Gerhard Berr im Interview mit WiE.

WiE: "Herr Berr, Sie hatten vor kurzem eine Eigentümerversammlung, die fast fünf Stunden dauerte."

Gerhard Berr: "Ja, da ging es in erster Linie um die Finanzierung der Kosten, die sich aus dem Abriss der Fassadenverkleidung und dem Neuaufbau der Verkleidung nun ergeben. Das ist ein sehr komplexes und natürlich auch hoch emotionales Thema und es braucht viel Zeit, das den Miteigentümern zu vermitteln."

WiE: "Welche Kosten werden denn auf Ihre WEG zukommen?"

Gerhard Berr: "Von dem Fassadenabriss betroffen sind die 390 Wohnungen in den fünf Hochhäusern, darüber hinaus umfasst unsere WEG noch rund weitere 310 Wohneinheiten in Flachbauten. Die Kosten für den Abriss und für den Neuaufbau der Fassade belaufen sich insgesamt auf rund 21 Millionen Euro, das sind rund 40.000 bis 50.000 Euro pro Wohnung. Das ist eine enorme Summe, die ja alle Miteigentümer aus den Hochhäusern mitfinanzieren müssen und die Vielen schlaflose Nächte bereitet! Für viele Eigentümer, darunter viele Rentner und junge Familien mit Kindern, ist das nicht zu stemmen, vor allem dann nicht, wenn die Wohnung noch gar nicht abbezahlt ist."

WiE: "Wie wollen Sie diese Kosten stemmen?"

Gerhard Berr: "Wir haben mit unserer neuen Hausverwaltung Pfeuffer ein Finanzierungskonzept erarbeitet: Wir als WEG nehmen einen Kredit auf. Jeder Eigentümer kann schauen, wieviel Geld er aus seinem Privatvermögen beisteuert und ob er beim WEG-Kredit mitmacht. Im Außenverhältnis, also zur Bank, muss die komplette WEG Neuselsbrunn 1-55 den WEG Kredit beschließen und da haften auch alle Eigentümer der WEG Neuselsbrunn 1-55. Im Innenverhältnis wird die Rückzahlung des WEG-Kredits nur durch die Eigentümer der fünf Hochhäuser passieren. Das ist deshalb möglich, da in der Teilungserklärung festgehalten wurde, dass es zwölf buchhalterische, also wirtschaftlich eigenständige, Untereinheiten gibt. Unsere Bank kann dadurch die nicht betroffenen Eigentümer aus den Flachbauten im Innenverhältnis haftungs- und tilgungsfrei stellen. Unsere Instandhaltungsrücklage ist lange nicht so hoch, um alle entstandenen Kosten zu tragen. Eine Sonderumlage bzw. der WEG-Kredit ist daher unbedingt erforderlich, um das Ganze vorzufinanzieren.

Wir wollten vereinbaren, dass man den WEG-Kredit in den ersten drei Jahren tilgungsfrei stellt, was aber leider dazu geführt hätte, dass im vierten Jahr die Tilgungsraten umso höher gewesen wären. Ein WEG-Kredit muss laut einem höchstrichterlichen Urteil innerhalb von 10 Jahren abgezahlt werden. Wir werden deshalb auch intensive Gespräche mit den zuständigen städtischen Dienststellen führen, damit hoffentlich auch weniger solvente Eigentümer die Chance erhalten, ihre Wohnung behalten zu können und nicht verkaufen zu müssen. Mit diesen Maßnahmen hoffen wir, somit das Schlimmste verhindern zu können. Wir haben natürlich die Hoffnung, dass das Gerichtsverfahren auf Schadensersatzklage gegen die Vonovia Immobilien Treuhand (VIT) bis dahin rechtskräftig abgeschlossen ist und diese die Kosten komplett erstatten muss."

WiE: "Warum haben Sie und weitere Wohnungseigentümer jetzt die Vonovia Immobilien Treuhand (VIT) verklagt?"

Gerhard Berr: "Von den rund 390 betroffenen Wohnungseigentümern gehen 300 gemeinsam juristisch gegen die VIT vor. Wir fechten den Beschluss über den Fassadenabriss an, insbesondere die Beschlussantragsbegründung, nach welcher der Abriss der Fassadenverkleidung wegen akuter Brandgefahr erfolgen musste. Wir sind genötigt worden, dem Abriss nachträglich zuzustimmen, da sonst mit einer Zwangsräumung gedroht wurde. Wir wurden somit massiv unter Druck gesetzt, obwohl der Abriss der Fassadenverkleidung aus technischer Sicht unberechtigt und nicht nötig gewesen wäre. Das zeigt ein Brandschutzgutachten (bestätigt durch einen Brandschutzprüfer), das die 300 Mandanten, die sich der Beschlussanfechtung angeschlossen haben, nach dem Abriss in Auftrag gegeben haben. Das Ergebnis: Der Abriss hätte vermieden werden können, wenn die VIT frühzeitig gehandelt und der Aufforderung der Stadt nach einem Brandschutzgutachten nachgekommen wäre. Dann hätte sich gezeigt, dass wir beim Brandschutz auch auf eine viel kostengünstigere Art und Weise hätten nachrüsten können. Bereits Ende 2015 wurde die Verwaltung von der Stadt das erste Mal dazu aufgefordert, hat aber nicht reagiert. Das hat sich dann fortgesetzt bis März 2018. Da die Verwaltung nicht reagiert und auch die Wohnungseigentümer nicht informiert hat - wir wussten von gar nichts -, hat die Bauordnungsbehörde 2018 dann mehr als 300.000 Euro Zwangsgelder verhängt. Wir wissen derzeit aber noch nicht, ob diese Zwangsgelder auch fällig gestellt wurden.  Im März 2018 hat die Vonovia das erste Mal reagiert und auf die Schnelle einen Prüfbericht beim ift in Auftrag gegeben. In der Eigentümerversammlung am 28.10.2018 wurden wir Eigentümer erstmalig darüber informiert und genötigt, nachträglich dem Fassadenabriss zuzustimmen - die Arbeiten hatten da bereits circa acht Tage zuvor begonnen. Wir Eigentümer erfuhren aus der Zeitung davon.

Der Beschluss unserer Eigentümergemeinschaft über den Fassadenabriss am 28.10.2018 ist somit unter falschen Voraussetzungen und Annahmen zustande gekommen. Wir wussten nicht, dass die Stadt bereits seit 2015 mit unserer damaligen Verwaltung in Kontakt stand bezüglich des Brandschutzes.

Außerdem fechten wir den Beschluss aus formalen Gründen an. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass die VIT – juristisch gesehen – gar nicht unsere rechtmäßige Verwaltung ist. Die regelmäßige Neuwahl der Verwaltung erfolgte seit einigen Jahren nicht mehr durch eine Gesamteigentümerversammlung der Miteigentümer aller zwölf buchhalterischen Untereinheiten, sondern die Verwaltung ließ sich von diesen Untereinheiten einzeln wiederwählen. Das ist nicht rechtens. Dieser Punkt wurde bereits vom Amtsgericht Nürnberg-Fürth durch einen Beschluss vorläufig bestätigt. Das diesbezügliche Urteil wird am 6. Juni erwartet."

WiE: "Welche Maßnahmen wären denn stattdessen möglich gewesen?"

Gerhard Berr: "Wie wir heute durch das Gutachten wissen, hat, anders als es die Stadt dargestellt hat, keine akute Brandgefahr der Fassaden bestanden. Die Fassadenverkleidungen hätten nicht abgerissen werden müssen.  Um den Brandschutz zu verbessern, hätte man zum Beispiel sogenannte Brandriegel einbauen können, die im Falle eines Brandes das Feuer nach ein oder zwei Stockwerken stoppen, sodass dieses nicht auf die weiteren Etagen übergreift. Außerdem hätte die Vonovia die Zufahrten zu den Hochhäusern für die Feuerwehr durch bauliche Veränderungen anpassen können. Das alles wäre möglich gewesen, wenn die VIT ein richtiges Brandschutzgutachten in Auftrag gegeben hätte – statt lediglich einen Prüfbericht (ein Bericht über die Einordnung der verbauten Materialien im Brandfall), der alleine für sich nicht aussagekräftig ist und keine verschiedenen Lösungswege zur Einhaltung der aktuellen Brandschutzanforderungen aufzeigte. Die Stadt Nürnberg hat diesen Bericht aber als Gutachten interpretiert und daraufhin Druck auf die VIT ausgeübt und mit Zwangsräumung gedroht. Daraufhin haben wir Eigentümer in Panik in der kurzfristig einberufenen Eigentümerversammlung am 28.10.18 den Beschluss auf Fassadenabriss gefasst."

WiE: "Herr Berr, was raten Sie nach diesem Desaster anderen Wohnungseigentümern?"

Gerhard Berr: "Man sollte sich immer gut überlegen, ob man wirklich einem solch großen Konzern wie der Vonovia sein Eigentum anvertraut. Unsere Erfahrung mit dieser Verwaltung war, dass Ansprechpartner vor Ort wenig Kompetenzen hatten, Beschlussumsetzungen ewig dauerten und die Erreichbarkeit miserabel war.  Wie wir inzwischen wissen, hat die VIT im Lauf der Jahre verschiedene Beschlüsse nicht umgesetzt. Aus heutiger Sicht sage ich: Beauftragen Sie lieber eine kleinere Inhaber-geführte Verwaltung, die Erfahrung hat und korrekt arbeitet. Außerdem: Die Beschlussanträge und alle wichtigen Unterlagen sind vor der Eigentümerversammlung genau zu prüfen und dann muss in der Eigentümerversammlung immer genau nachgefragt werden, wenn es um den Beschluss von solch umfassenden und kostspieligen Maßnahmen geht. Das allerdings ist in einer solch großen Wohnungseigentümergemeinschaft, wie es unsere ist, nicht ganz einfach. Bei unseren Eigentümerversammlungen sind meistens rund 1.000 Personen anwesend.

Denken Sie auch immer daran, lieber etwas mehr anzusparen, um bei großen Reparaturen genügend Geld als Rücklage parat zu haben. Ein große Sonderumlage ist immer schmerzhaft. Meiner Meinung nach ist auch ganz wichtig, sich zu trauen, die Verwaltung zu wechseln, indem man den Vertrag einfach nicht verlängert."

WiE: "Wie gestalten Sie denn die Kommunikation innerhalb Ihrer WEG, gerade bei so einem wichtigen Thema? Da reicht es ja nicht aus, sich nur innerhalb der Eigentümerversammlungen auszutauschen."

Gerhard Berr: "Ich wurde in der außerordentlichen Eigentümerversammlung am 26. Februar 2019 zum Verwaltungsbeiratsvorsitzenden mit zwei weiteren Beiräten gewählt. Wir arbeiten jetzt sehr eng mit der neuen Hausverwaltung zusammen und kommunizieren mit einer großen Zahl der Eigentümer per E-Mail, was ja in unserer heutigen Zeit etwas ganz Selbstverständliches ist. Darüber hinaus versenden wir aber auch auf dem Postweg Informationen, insbesondere für die Eigentümer, die keinen PC oder kein Internet nutzen. Begleitend dazu hängen wir besonders wichtige Infos, die keine personalisierten Nachrichten und keine eigentümerspezifischen Nachrichten enthalten, aus. Mit all diesen Maßnahmen erreichen wir die Eigentümer in einer solch großen WEG sehr zeitnah und auch kostengünstig."

WiE: "Und wie stellen Sie sicher, dass die neue Fassade auch den aktuellen Brandschutzvorgaben entspricht? Sie haben hierfür sicher ein Gutachten beauftragt?"

Gerhard Berr: "Selbstverständlich haben wir ein Brandschutzgutachten bei einem sehr versierten Brandschutzexperten in Auftrag gegeben, das auch von einem Brandschutzprüfer geprüft und mit einem offiziellen Prüfsiegel abgesegnet wurde. Des weiteren wurde der TÜV-Süd mit der Erfassung der beim Abriss entstandenen Betonschäden beauftragt, sowie mit der Feststellung, ob die Schäden durch den unverantwortlichen Abriss oder bereits früher entstanden sind. Was auch für die letztendliche Ermittlung der Schadensersatzforderung relevant sein wird."

WiE: "Wann soll denn die neue Fassade fertig sein?"

Gerhard Berr: "Wir gehen davon aus, dass im März oder April 2020 die Fassadenarbeiten abgeschlossen sein werden. Aber vorrangig ist unser Ziel, vor dem Winter wieder an allen fünf Hochhäusern eine Dämmung drauf zu haben, um Schimmelbildungen durch Schwitzwasser an den großflächigen Innenwänden abzuwenden. Das wird uns auch gelingen, denn alle Beteiligten an diesem in der Bundesrepublik einmaligen Bauvorhaben mit drei 20-geschossigen Hochhäusern und zwei 15-geschossigen Hochhäusern sind sehr bemüht und motiviert, diesen untragbaren Wohnzustand zu beseitigen."

WiE: "Eine persönliche Frage: Wie viel Zeit investieren Sie aktuell in Ihre Beiratstätigkeit und warum engagieren Sie sich in diesem Umfang?"

Gerhard Berr: In den letzten fünf Monaten sind das gut und gerne pro Tag 5 bis 6 Stunden, teilweise auch samstags und sonntags. Daran wird sich in den nächsten zwei Monaten auch nichts ändern. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, den Eigentümern zu helfen, eine Dämmung und eine neue Fassade noch vor dem Winter zu erhalten, um weiteren Schaden am Gebäude abzuwenden. Mit Fairness, Offenheit und Transparenz gegenüber allen Beteiligten zu handeln, ist uns allen ein Anliegen. Wir wollen ja ein Zeichen setzen wie es anders geht. Da sind wir uns mit der neuen Hausverwaltung absolut einig.

WiE: "Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Engagement von den anderen Eigentümern geschätzt wird?"

Gerhard Berr: "Ein Großteil der Eigentümer schätzt das Engagement von uns Verwaltungsbeiräten sehr. Aber es gibt in einer so großen WEG immer auch Kritiker, das ist aber ganz normal."

WiE: "Herr Berr, vielen Dank für das Interview."

 

 

Informationen zu WEG-Krediten:

Seit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes 2007 ist die WEG eine eigene Rechtspersönlichkeit und kann daher jetzt selbst Darlehen aufnehmen. Als Mitglied der Eigentümergemeinschaft haften Sie der Bank gegenüber nur für Ihren Anteil an dem Kredit. Dieser Anteil bemisst sich in der Regel nach den Miteigentumsteilen.

Es besteht also keine gesamtschuldnerische Haftung der Eigentümer, nach der das Kreditinstitut fällige Raten von einem Eigentümer seiner Wahl in voller Höhe einfordern könnte (so wie es vor der Reform war).

Zwar müssen die Wohnungseigentümer nun nicht mehr gesamtschuldnerisch für die gesamte Kreditsumme gegenüber der Bank haften, aber im Innenverhältnis, also unter den Wohnungseigentümern, gilt die interne solidarische Ausfallhaftung: Zahlen einzelne Eigentümer ihre Beiträge zur Bedienung des Kredits nicht, muss die WEG die Ausfälle notfalls durch eine Sonderumlage aufbringen, um die Kreditraten zahlen zu können. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Ratgeber „Der Modernisierungsknigge für Wohnungseigentümer“, den Sie kostenlos als pdf herunterladen können.