Wohnen im Eigentum (WiE) bezweifelt Nutzen dieser Gesetzesänderung, befürchtet Stress und Streitigkeiten in WEGs

08.08.2022. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) plant eine zentrale Änderung im Wohnungseigentumsgesetz (WEGesetz), dem Gesetz, das gerade erst vor zwei Jahren grundlegend reformiert wurde. Möglich gemacht werden sollen Eigentümerversammlungen als reine Online-Versammlung ohne Möglichkeit der Teilnahme in Präsenz. Bekannt geworden ist das Vorhaben nur über eine Antwort des BMJ auf eine Kleine Anfrage eines Bundestagsabgeordneten in einer Bundestags-Drucksache. Begründungen dafür bleiben vage. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum sieht den Effekt und Nutzen dieser Änderung für WEGs sehr kritisch bis gleich „null“ und warnt vor zukünftigen Streitigkeiten und Ausgrenzungen in den Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs). Auch fragt WiE, ob eine Evaluierung der erst 2020 geänderten Vorschrift zur Eigentümerversammlung stattgefunden hat, wie viele Wohnungseigentümer zur geplanten Gesetzesänderung befragt wurden oder wer hinter dieser neuen Initiative steht.

Mit der letzten Gesetzesreform 2020 hat die Eigentümerversammlung als alleiniges und einziges Entscheidungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) eine zentrale Bedeutung und Verantwortung erhalten. Nur über die Eigentümerversammlung können die Wohnungseigentümer auf die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, dessen Finanzierung und bauliche Veränderungen noch Einfluss nehmen. Die Wohnungseigentümer müssen sich jetzt stärker als früher als Gemeinschaft sehen und definieren – auch angesichts der zu erwartenden hohen Investitionen in Heizungsumstellung und Gebäudesanierung.

Die Notwendigkeit und Eilbedürftigkeit einer rein virtuellen Versammlung bleibe in diesem Zusammenhang unklar, so der Verband Wohnen im Eigentum. Sogenannte hybride Eigentümerversammlungen, die neben der Vorort-Teilnahme auch eine Online-Zuschaltung ermöglichen, können die Wohnungseigentümer schon jetzt mit einfacher Mehrheit jederzeit beschließen. Ebenso können bestimmte Maßnahmen auch ohne die Durchführung einer Eigentümerversammlung per Email oder SMS mit Mehrheit beschlossen werden (sogenannte Umlaufbeschlüsse). Schließlich können WEGs bereits heute rein virtuelle Versammlungen vereinbaren, wenn alle Miteigentümer damit einverstanden sind. WiE stellt deshalb dem BMJ die Frage, warum das WEGesetz dahingehend schon wieder geändert werden soll.

„Sinn und Nutzen dieser Gesetzesänderung bleiben unklar und unscharf“, erklärt Gabriele Heinrich, Vorständin von Wohnen im Eigentum. „Es ist auch nicht bekannt, ob das Bundesjustizministerium eine Folgenabschätzung durchgeführt hat.“

Hier die offenen Fragen von Wohnen im Eigentum:

  • Hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Evaluation der derzeit zur Verfügung stehenden Instrumente zur Durchführung und Beschleunigung von Beschlussfassungen in Eigentümerversammlungen durchführen lassen mit dem Ergebnis, dass diese nicht effizient sind und deshalb eine reine Online-Eigentümerversammlung gesetzlich eingeführt werden muss?
  • Wie viele Wohnungseigentümer wurden befragt, um die Notwendigkeit dieser Gesetzesänderung zu ermitteln?
  • Wie will das BMJ verhindern, dass Stress, Konflikte und Streitigkeiten in die WEGs getragen werden – zwischen den Online-Befürwortern und der Verwaltung auf der einen Seite und den skeptischen bis ablehnenden Wohnungseigentümern auf der anderen Seite?
  • Wie will das BMJ verhindern, dass hochbetagte oder bildungsbenachteiligte Wohnungseigentümer, die digital nicht versiert sind, nicht ausgegrenzt werden?
  • In naher Zukunft wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) mit Konzepten und Projekten zur Umsetzung der Energie- und Klimawende auf die WEGs zugehen. Dann werden sicherlich Änderungen im WEGesetz vorgenommen werden müssen. Warum arbeitet das BMJ hier nicht mit dem BMWK zusammen, sondern will jetzt im Alleingang die Digitalisierung angehen? Soll in einem Jahr eine erneute WEGesetz-Novelle in Angriff genommen werden?
  • Wer steht hinter dieser Gesetzesänderungsinitiative? Hauptnutznießer dieser Änderung wären die Verwaltungen. Ihr Organisations- und Arbeitsaufwand ist für Online-Versammlungen deutlich geringer als für Hybrid-Versammlungen. Die Verwaltungen würden damit Personalaufwand, Zeit und Kosten sparen. Beruht diese Initiative also allein auf der „guten“ Lobbyarbeit eines Verwalterverbandes?
  • Gibt es keinen wichtigeren Änderungsbedarf? Der Verbraucherverband WiE sieht eine Reihe von Problemen in der aktuellen Fassung des WEGesetz, die im Sinne und zum Nutzen der Wohnungseigentümer angegangen werden müssen, u.a.
    - Erleichterungen bei der Selbstverwaltung kleinerer WEGs,
    - Erleichterungen bei der Beschlussfassung zur Installation von Solaranlagen u.a.,
    - Klarstellungen bei dem noch verbleibenden Haftungsanspruch einzelner Wohnungseigentümer im Schadensfall gegen die Verwaltung.

„Wohnungseigentum und WEGs können und dürfen nicht mit Vereinen und schon gar nicht mit Aktiengesellschaften gleichgesetzt werden.“ betont Gabriele Heinrich, Vorständin von WiE. „Die Wohnung gilt als „Dritte Haut“ des Menschen. Gerade bei den im Rahmen der Energiewende zukünftig anstehenden hohen Investitionen können Existenzen auf dem Spiel stehen, wenn nicht alle Wohnungseigentümer gemeinsam nach für sie angemessenen Maßnahmen und Finanzierungslösungen suchen können.“

Digitalisierung kann nur Mittel zum Zweck sein. Ist eine WEG nicht gut aufgestellt, weil die Miteigentümer nicht informiert und außerhalb der Eigentümerversammlung nicht miteinander vernetzt sind oder weil die Verwaltung intransparent arbeitet oder sich nicht engagiert, bringt die reine Online-Versammlung keine schnelleren und besseren Beschlüsse. „Aus der Corona-Krise, in der viele WEGs wie paralysiert und nicht wenige Verwaltungen „abgetaucht“ waren, werden derzeit vorschnelle bis falsche Schlussfolgerungen gezogen“, so Heinrich.