Ein Erlebnisbericht über die Strategien wohnungswirtschaftlicher Verbände zur Verhinderung eines Normungsausschusses
von Gabriele Heinrich, Vorständin von WiE
24.05.2022.
Vordergründig geht es nur um einen Normungsausschuss zur Standardisierung der Jahresabrechnung für Wohnungseigentümer*innen beim Deutschen Institut für Normung (DIN). „Hintergründig“ ist es ein Beispiel dafür, Wohnungseigentümer*innen Instrumente vorzuenthalten, mit denen Transparenz geschaffen werden soll und mit denen sie als Verbraucher die komplizierte und sie oft überfordernde WEG-Verwaltung leichter durchblicken und wahrnehmen können. Spätestens mit dem neuen WEGesetz – mit dem die WEG einem Unternehmen gleichgestellt wird - , sind solche „Hilfsmittel“ („Werkzeuge“) dringend erforderlich. Gerade im Wohnungseigentum, in dem nur sehr wenig geregelt ist. Auch den Verwaltungen würde dieses Instrument die Arbeit und die Kommunikation mit den WEGs erleichtern.
Die Einrichtung eines Normungsausschusses in Deutschen Institut für Normung (DIN) ist in der Regel unspektakulär. Es wird ein Antrag mit Begründung beim DIN eingereicht. Wenn der zuständige Beirat des DIN dem Antrag zustimmt, werden die möglichen interessierten Kreise zu einer konstituierenden Sitzung eingeladen. Finden sich ausreichende Finanzierer, beginnt die Normungsarbeit. Auf diese Weise sind 34.000 DIN-Normen entstanden. Die Industrie arbeitet mit Normen, das Baugewerbe, Planer, Dienstleister usw. Normen sind im Wirtschaftsleben eine Selbstverständlichkeit und nicht mehr wegzudenken. Sie vereinheitlichen Abläufe, geben Definitionen und Kenngrößen vor, legen Standards und Qualitätsstufen fest etc.. DIN-Normen bestimmen und erleichtern auch den Alltag von Verbrauchern, man denke nur an das DIN-A4 Papier.
Alles andere als unspektakulär verläuft allerdings bisher der Einstieg in die Normungsarbeit Jahresabrechnung und Vermögensbericht. Die Einrichtung eines Normungsausschusses ist zum Politikum, zur Machtfrage geworden, zur Auseinandersetzung zwischen David und Goliath.
Die Vorgeschichte: Ein in NRW bekannter Verwalter hatte einen Normungsantrag gestellt, weil er immer wieder mit Defiziten, Problemen und Fehlern in Jahresabrechnungen konfrontiert wurde. Der DIN stimmte der Einrichtung eines solchen Normungsausschusses zu. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum (WiE) begrüßte die Idee und war sofort bereit, mitzumachen. Denn bei den Beratungsnachfragen und dem Informationsbedarf von Wohnungseigentümer*innen stehen Jahresabrechnungen immer wieder hoch im Kurs – weil viele nicht verstanden werden. Sie werden als nicht nachvollziehbar, fehlerhaft, nicht vergleichbar und intransparent angesehen. Kein Wunder, denn im WEGesetz gab und gibt es nur sehr wenige gesetzliche Vorgaben über die Inhalte und keine für die Darstellung der jährlich erforderlichen Abrechnungen. Die Ausgestaltung wird den Softwarehäusern, welche die Programme zur Darstellung von Jahresabrechnungen erstellen, den Verwaltungen und in letzter Instanz (immer nur in Einzelfragen) den Gerichten überlassen. Die Empfänger (und im Problemfall die Leidtragenden) waren und sind in erster Linie die Wohnungseigentümer*innen – denn sie zahlen den Preis, wenn die Jahresabrechnungen nicht stimmen, sie die Fehler nicht erkennen oder die Nachbesserung nicht durchsetzen können - aber letztendlich auch die Verwaltungen. Die Verwaltungen müssen viel konzeptionelle Arbeit in die Aufstellung richtiger Jahresabrechnungen einbringen, tragen die Verantwortung gegenüber der WEG (sind aber keine Didaktiker) und sind der Kritik und manchmal auch den Anfeindungen von Eigentümer*innen ausgesetzt, wenn diese mit den vorgelegten Jahresabrechnungen nicht zurechtkommen. Von standardisierten, allgemeinverständlichen Normvorgaben würden alle Beteiligten profitieren: Die Wohnungseigentümer*innen – für die der ganze Aufwand als Zielgruppe und Empfänger ja geschehen muss – die Verwaltungen, die dann nicht mehr für die Darstellung der Jahresabrechnungen (natürlich aber für die Inhalte) verantwortlich sind, und die Softwareunternehmen, die endlich einen festen, vorgegebenen Orientierungsrahmen für die Programmierung erhalten.
Die Nutzung einer DIN-Norm und der Verweis auf die DIN-Norm würde viele Diskussionen und viel Ärger ersparen. Eigentlich eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Eigentlich. Jetzt aber stellen sich eine Mehrheit der wohnungswirtschaftlichen Verbände in Berlin unter dem Dach des Zentralen Immobilien Ausschusses ZIA und der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft in Deutschland (BID) in Zusammenarbeit mit dem Zentralverband Haus und Grund gegen die Entwicklung dieser Norm. Sie sind nicht nur nicht bereit, mitzuarbeiten, sie ignorieren nicht nur einfach die Bestrebungen der interessierten Kreise, sondern sie versuchen mit allen Mitteln, die Konstituierung dieses Normungsausschusses zu verhindern. In zwei Sitzungen zur Konstituierung des Normungsausschusses haben sie die Besprechungen so behindert, dass es selbst in der zweiten Sitzung zu keiner Konstituierung kam. In dieser Sitzung wurde allein drei Stunden lang über die Tagesordnung diskutiert. Die Konstituierung an und für sich wurde in Frage gestellt, ebenso das übliche Geschäftsverfahren des DIN zur Gründung eines Normungsausschusses. Weitere zwei Stunden wurde über das Protokoll der letzten Sitzung diskutiert. Selbst mit Drohungen wurde nicht gespart. Beschwerden beim Vorstand des DIN, bei dem das DIN mitfinanzierende Bundesministerium wurden angekündigt, mit Gerichtsverfahren wurde gedroht. Dank des souverän auftretenden, sachlich bleibenden und sehr kompetenten Sitzungsleiters des DIN wurde das Gespräch lange geführt und schließlich festgelegt, dass die Sitzung nur unterbrochen und die Konstituierung am 1.6.2022 fortgesetzt werden wird. Das Aufgebot der wohnungswirtschaftlichen Dach-Verbände in Berlin war beeindruckend. Vertreten waren Geschäftsführer oder Referent*innen des ZIA, des GdW, des BFW, des VDIV, des BVI, des IVD, Hausbank München sowie Haus und Grund. Einige der Teilnehmenden haben wahrscheinlich noch nie eine Jahresabrechnung für WEGs gesehen, geschweige denn damit oder dafür gearbeitet. Als Befürworter einer DIN-Norm waren vertreten der besagte Verwalter als Initiator, Wohnen im Eigentum (WiE), der DIN-Verbraucherrat sowie der Wohnungseigentümerverband VDWE. Die anwesenden Vertreter der Software-Unternehmen hielten sich eher zurück oder wirkten zunehmend verunsichert.
Warum dieses massive Blockadeverhalten?
In einem Beschwerde-Schreiben an den Vorstandsvorsitzenden des DIN wenige Tage vor der Sitzung hat der Verbraucherverband Haus und Grund zusammen mit dem BFW, VDIV, BVI, IVD, ZIA (unterschrieben jeweils von den Präsidenten der Verbände) folgende Gründe gegen einen Normungsausschuss angegeben (Antworten der Verfasserin dazu in kursiv):
Der Bedarf und die Relevanz einer solchen DIN-Norm sei nicht gegeben.
- Es gibt eine aktuelle Studie des DIN-Verbraucherrates, die eindeutig den Bedarf untermauert. WiE hat eine Befragung unter Wohnungseigentümer*innen durchgeführt, von denen 86% aller Befragten eine solche DIN befürworten.
Eine DIN-Norm dürfe nicht in ein Gesetz eingreifen und Rechtsfragen dürfen nicht Thema eines DIN-Ausschusses sein.
– Dies wird auch nicht Gegenstand der Normungsarbeit sein. Die DIN-Norm wird auf der Grundlage der wenigen Vorgaben des WEGesetzes entwickelt werden und selbstverständlich die BGH-Rechtsprechung berücksichtigen.
Der Mehrwert einer DIN-Norm gegenüber den Orientierungshilfen und Mustern, herausgegeben von einzelnen Verbänden, sei nicht erkennbar.
– Bisher gibt es keine verbändeübergreifenden, von allen betroffenen Kreisen anerkannten Muster oder Orientierungshilfen. DIN-Normen sind dagegen allgemein anerkannte Standards, sie geben den Stand der Technik bzw. der Dienstleistungen wieder, werden von Gerichten zu Rate gezogen.
Der Normungsantrag sei überholt aufgrund der Gesetzesreform.
– Der Antrag ist nicht überholt, da die Norm auf das neue WEGesetz aufbauen wird.
Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung würden sich nicht normieren lassen.
– Wie kommen die Verfasser zu dieser Annahme? Auf welchen Erfahrungen basiert diese Behauptung?
Es wird kein Handlungsbedarf gesehen.
Die in diesem Schreiben aufgeführten Argumente widersprechen jeglicher Normungserfahrung. Es sind pauschale Behauptungen, die inhaltlich nicht belegt werden.
Die „wahren Gründe“ können nur vermutet werden. Vermutlich geht es hier um eine Demonstration der Macht des Stärkeren – die der Wohnungswirtschaft gegen die Verbraucher - über die Köpfe der Verwaltungen hinweg. Diese wohnungswirtschaftlichen Verbände sind es anscheinend nicht gewohnt, dass Wohnungseigentümer*innen konkrete Zielvorstellungen formulieren, Stärke und Entschlossenheit zeigen.
Warum der Verbraucherverband Haus und Grund diese Blockade mit unterstützt, bleibt unerklärlich. Dabei haben sich lokale Vereine von Haus und Grund für solch eine Norm ausgesprochen, z.B. Haus und Grund Aachen.
Grundsätzlich: In Deutschland hat der Lobbyismus für selbstnutzende Haus- und Wohnungseigentümer*innen wenig Tradition im Vergleich zum Lobbyismus der finanzstarken wohnungswirtschaftlichen Verbände und ihrer Zusammenschlüsse.
Gerade im und für das Wohnungseigentum gibt es viele Regelungslücken. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, in denen über Überregulierungen gestöhnt wird, existiert im Wohnungseigentum viel Wildwuchs, „der Markt soll es richten“. Die strukturell benachteiligten und aus vielen Gründen überforderten Wohnungseigentümer*innen sollen alles selbst entwickeln und regeln: nach dem neuen WEGesetz ist die WEG sogar wie ein Unternehmen zu führen. Beispiele fehlender Beachtung: Die immer noch unzureichend geregelte Verwalterqualifizierung (das WEGesetz gibt es seit 71 Jahren), die bisher fehlende Beachtung der Besonderheiten des Wohnungseigentums im EEG.
Wie wird es weitergehen: Der DIN-Normenausschuss wird kommen. WiE, der initierende Verwalter und der VDWE wollen mit der Normungsarbeit beginnen. Die Tür bleibt offen für alle an der Sache interessierten, fachkundigen und engagierten interessierten Kreise, insbesondere auch die Softwareunternehmen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass eine qualitativ hochwertige, die Interessen aller Beteiligten – Wohnungseigentümer*innen wie Verwaltungen wie Softwareunternehmen - berücksichtigende Norm auf der Grundlage des WEGesetzes und der BGH-Rechtsprechung entwickelt wird. Ob und wie sich diese DIN-Norm dann am Markt durchsetzen wird, kann jetzt noch nicht abgesehen werden. Aber Wohnen im Eigentum e.V. wird dafür werben und Eigentümer*innen über den weiteren Prozess informieren und sie dafür sensibilisieren, Jahresabrechnungen auf der Grundlage solch einer Norm einzufordern. Die Verbraucherverbände setzen darauf, dass die seriösen, engagierten Verwalter auch dafür eintreten.
Gabriele Heinrich, Vorständin