02.09.2020. Am vergangenen Samstag, den 29. August 2020, erschien im Berliner Tagesspiegel der folgende Gastbeitrag von Gabriele Heinrich unter dem Titel "Reformversuch mit erheblicher Schieflage". Die WiE-Vorständin befasst sich darin mit der Frage: Wer steht hinter dem Entwurf des neuen Wohnungseigentumsgesetz? (Direkt zum Tagesspiegel)

"Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum (WiE) ist von Wohnungseigentümern und Journalisten immer wieder gefragt worden, wer „hinter“ dem Entwurf des neuen Wohnungseigentumsgesetz (WEG) steht, den das Bundesjustizministerium (BMJV) vorgelegt hat. Vermutet werden die Verwalterverbände beziehungsweise die Immobilienwirtschaft, da sie – aus Sicht vieler Wohnungseigentümer – am ehesten als die Profiteure angesehen werden. Wohnungseigentümer sehen sich dagegen mit ihren Problemen am wenigsten wahrgenommen und berücksichtigt. Diese interessante Fragestellung hat WiE zu Recherchen und diesem Kommentar veranlasst.

Gastbeitrag im Tagesspiegel
WiE

Der Ausgangpunkt: Wer sind die Netzwerker? Es existieren Verflechtungen zwischen Fachjuristen und Verwaltern, entstanden über die Fortbildung: Verwalter sind einige der wenigen Berufsgruppen, die auch ohne Sachkundenachweis und auf Basis einer sehr geringen Fortbildungspflicht nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz zur Rechtsberatung befugt sind. Da die Fortbildung der Verwalter in Rechtsfragen überwiegend von Fachjuristen durchgeführt wird, haben sich über die Jahrzehnte enge Kontakte und Netzwerke etabliert, die auch politische Fachgespräche durchführen und eigene, teilweise sehr konkrete Vorschläge zur WEG-Reform zur Diskussion stellten.

EiD-Jahrestagungen in Fischen: „Hier wird das Wohnungseigentumsrecht erfunden und gebildet“, sagte ein Teilnehmer. Seit 45 Jahren tauschen sich beim „WEG-Fachgespräch“, organisiert vom Evangelischen Immobiliendienst (EiD) jährlich im Herbst in Fischen im Allgäu, unter anderem Rechtsprofessoren, Richter, Autoren von Fachpublikationen und Fachanwälte drei Tage lang über Rechtsfragen aus und treffen dabei auf über 500 Verwalter und Messeaussteller. Das heißt, hier bieten die Verwalter den Experten das Podium und das Mikrofon für ihre Fachdiskussionen zum Wohnungseigentumsrecht.

DDIV-Denkwerkstatt 2016: Der Verwalterverband DDIV (heute VDIV) hat bereits 2016 eine zweitägige Denkwerkstatt zur Reform des Wohnungseigentumsgesetzes durchgeführt: Der DDIV, so der Geschäftsführer, „ist bereits seit geraumer Zeit in intensiven Gesprächen mit den zuständigen Ministerien sowie deren Pendants auf Länderebene. Darüber hinaus hat im Juni 2016 ein Expertengremium aus führenden Wissenschaftlern und Juristen des Wohnungseigentumsrechts sowie Vertretern aus der Verwalterpraxis im Rahmen einer zweitägigen ’DDIV-Denkwerkstatt WEG-Reform’ getagt. Dabei wurde auf Grundlage einer 40-seitigen Thesensammlung eine Reihe von Komplexen identifiziert, deren Überarbeitung im Rahmen des Workshops ausgiebig diskutiert wurde.“ (Aus: Der Verwalterbrief, September 2016) Die Thesensammlung wurde nicht veröffentlicht, in der Verbandszeitschrift „DDIV aktuell“ sind aber Beiträge nachzulesen.

Immer wieder dieselben Vortragenden – im engen Kontakt miteinander: Aus Veranstaltungsprogrammen, den Archiven der Verwalterverbände VDIV und BVI/IVD, aus der Vorstands- und Beiratsbesetzung des EiD sowie aus den Websites der Fachjuristen ist zu erkennen, dass es eine überschaubare Gruppe von Experten gibt, die eng mit den Verwalterverbänden verflochten sind. Dabei entstehen gegebenenfalls Rücksichtnahmen und Parteinahmen, auch für die Fachkollegen. Aus ihrem Kreis war auch ein Spezialist ins BMJV abgeordnet, um an der Erstellung des Gesetzentwurfs mitzuarbeiten.

Ein Netzwerk einflussreicher Juristen, die sich der Probleme der Wohnungseigentümer annehmen, gibt es nicht und Eigentümerverbände wie WiE können hierzu kein Gegengewicht bilden, da sie durch Mitglieder privat finanziert werden. Tagungen der Verwalterverbände werden hingegen sogar teilfinanziert über Mitgliedschaften von Firmen in den Verwalterverbänden sowie mit Ausstellermessen, das heißt, über Dienstleister und Firmen, die mit den WEGs beziehungsweise den Wohnungseigentümern im Geschäft sind oder ins Geschäft kommen wollen.

Wozu diese Vernetzung führt, fasst Wohnen im Eigentum in folgenden vier Thesen zusammen. Erstens: Die beschriebenen Experten haben eine undifferenzierte, stark vereinfachte und aus dem Verwalter-Blickwinkel geprägte Sicht auf die Wohnungseigentümer entwickelt. Danach gilt die Mehrheit der Eigentümer als desinteressiert an der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums. Nicht passive, einzelne Wohnungseigentümer gelten gerne und häufig als Querulanten, die den Verwaltern die Arbeit erschweren und die Gerichte mit ihren Beschlussanfechtungen überlasten. Dem Amt des Verwaltungsbeirats wird – weil mit Nicht-Fachleuten besetzt – keine große Bedeutung beigemessen. Dies wollen sie auch nicht geändert wissen.

Zweitens: Für die Eigentümer wichtige Themen standen in den genannten Veranstaltungen nicht zur Diskussion, etwa Kontroll- und Eingriffsrechte der Wohnungseigentümer oder Konzepte für die Aufwertung des Beirates zum Kontrollorgan oder Aufsichtsrat. Auch nicht erörtert wurden die Tauglichkeit der Eigentümerversammlung als Steuerungs- und Kontrollorgan oder Eingriffe in die Eigentümerrechte generell. Konzepte zur Verwalterstärkung wurden dagegen diskutiert.

Drittens: Die beschriebene Haltung findet sich nun im Gesetzentwurf wieder, ersichtlich in der Übertragung von Unternehmensrecht ins WEG, ohne die praktische Umsetzbarkeit und die Folgen für die Wohnungseigentümer näher zu beachten, um deren Eigentum es geht. So soll künftig der abstrakte Verband WEG das Gemeinschaftseigentum verwalten, vertreten durch einen Verwalter, dessen Kompetenzen erheblich erweitert werden.

Viertens: Das neue Rechtskonzept wurde nicht zu Ende gedacht, es schafft eine eklatante Schieflage, denn es fehlt ein praxistaugliches Steuerungs- und Kontrollkonzept für die Wohnungseigentümer – mangels juristischer Konzeptideen oder zum Schutz der Verwalter vor den Eigentümern? Letzteres kann vermutet werden, da den Eigentümern keine direkten Ansprüche gegen Verwalter mehr zugestanden werden sollen. Als „glasklare“ Konstruktion wird der Gesetzentwurf dagegen von sechs Juraprofessoren aus diese Netzwerk in einem Unterstützerbrief vom April 2020 ans BMJV gelobt. Die neue Rechtskonstruktion sei „ungeeignet, in Tageszeitungen diskutiert zu werden. Wir wünschen dem Entwurf, dass er (…) möglichst bald im Bundesgesetzblatt zu lesen ist.“

Das WiE-Fazit: Hier wird ein Führungsanspruch deutlich, sogar ein Elitedenken, das nicht den heutigen gesellschaftlichen Erwartungen an eine Teilhabe der Betroffenen am Gesetzgebungsverfahren entspricht. Sollte dieser Entwurf möglichst geringer parlamentarischen Prüfung und keiner Korrektur unterzogen werden? Politik ist auf wissenschaftliche Beratung angewiesen, keine Frage. Diese darf nur nicht massiv getragen werden von einseitig ausgerichteten Experten, die eine durch die Verwalterbrille gefilterte Sicht auf die Wohnungseigentümer haben. Vorstellungen und Vorschläge aus Eigentümer- und Praxissicht, die von den Verbraucherverbänden zur Behebung der Defizite im WEG eingebracht wurden, fanden eine viel zu geringe Berücksichtigung. Zudem fehlen für eine derart umwälzende Reform belastbare empirische und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse.

Bleibt zu hoffen, dass im Rechtsausschuss des Bundestags nun nicht nur kosmetisch nachgebessert wird, sondern konzeptionell kreativ nachentwickelt und transparent gehandelt wird."

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Hier geht es zum Gastbeitrag im Tagesspiegel.