21.08.2020. Photovoltaikanlagen kommen nicht nur auf den Dächern von Einfamilienhäusern zum Einsatz, sondern auch auf Mehrfamilienhäusern. Wird der Strom an die Bewohner verkauft, kann es hierfür im Rahmen des sogenannten Mieterstrom-Modells eine staatliche Zulage geben. Rechtliche Grundlage bildet das Gesetz zur Förderung von Mieterstrom, das seit 2017 in Kraft ist. Mit dem Mieterstrom-Konzept will die Bundesregierung die Energiewende in den Städten vorantreiben. Doch bisher kommt das Modell nur selten zum Einsatz. Wie es funktioniert und was verbessert werden müsste, erläutert Dr. Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen beim Verbraucherzentrale Bundesverband, im Interview.

Den Begriff "Mieterstrom" sieht WiE kritisch, denn nicht nur Mieter, sondern auch selbstnutzende Wohnungseigentümer können diesen in Anspruch nehmen. Daher wäre aus Sicht von WiE  "Bewohnerstrom" die bessere Bezeichnung - damit sich auch Wohnungseigentümer angesprochen fühlen.

WiE: „Herr Dr. Engelke, wie funktioniert das Mieterstrom-Modell?“

Dr. Thomas Engelke: „Wird eine Photovoltaikanlage (PV-Anlage) auf dem Dach eines Einfamilienhauses installiert, ist der/die Hauseigentümer/in Inhaber/in und Betreiber/in. Der selbstverbrauchte Strom wird als Eigenstrom bezeichnet und ist von Netzentgelten, Konzessionsabgabe und Stromsteuer und in der Regel von der EEG-Umlage befreit. Bei einem größeren Mehrfamilienhaus wird die PV-Anlage teilweise von den Eigentümern, häufig aber wegen der aufwändigen Bürokratie von einem beauftragten Dienstleistungs- oder Energieversorgungsunternehmen betrieben. Wenn der auf dem Dach erzeugte Strom direkt an die Hausbewohner ohne Nutzung des öffentlichen Stromnetzes als Mieterstrom geliefert wird, entfallen Netzentgelte, Konzessionsabgabe und Stromsteuer. Zusätzlich erhält der Betreiber der PV-Anlage den sogenannten Mieterstromzuschlag, der Strom wird also preiswerter. Die EEG-Umlage fällt aber in voller Höhe an. Wohnungseigentümergemeinschaften sollten genau prüfen, ob sie eine PV-Anlage selbst betreiben wollen.“

Dr. Thomas Engelke
©Gerd Baumbach

WiE: „Ist das Konzept wirklich nur für den Stromverkauf an Mieter gedacht?“

Dr. Thomas Engelke: „Zwar heißt es Mieterstrom, aber gemeint ist der Strom, der vom Dach an die ‚Letztverbraucher‘ im Haus geliefert wird. Letztverbraucher sind neben der großen Gruppe der privaten Mieter auch selbstnutzende Wohnungseigentümer und auch gewerbliche Mieter, wenn das Gebäude aus mindestens 40 Prozent Wohnfläche besteht. Der Mieterstromvertrag mit dem Stromanbieter (dem Eigentümer des Hauses bzw. der WEG) kann also von allen Hausbewohnern abgeschlossen werden, unabhängig davon, ob ihnen die Wohnung gehört oder nicht. Jede Wohnpartei im Haus kann selbstständig entscheiden, ob sie einen solchen Mieterstromvertrag abschließen möchte oder nicht.“

WiE: „Wie profitieren die selbstnutzenden Wohnungseigentümer und Mieter von dem Modell“?

Dr. Thomas Engelke: „Der Betreiber der Anlage muss den Hausbewohnern den Mieterstrom mindestens 10 Prozent günstiger anbieten, verglichen mit dem lokalen Grundversorgertarif. Hier muss aus Sicht des Verbraucherschutzes kritisch hinterfragt werden, ob diese Differenz nicht noch ausgebaut werden muss.“

WiE: „Warum ist das Mieterstrom-Modell dann bisher so wenig erfolgreich?“

Dr. Thomas Engelke: „Es gibt zu viele bürokratische Hürden, und die Förderung sinkt von Jahr zu Jahr. Das hat dazu geführt, dass die Erzeugung und der Verkauf von Mieterstrom zu unattraktiv sind. Betreiber von Mieterstromanlagen zahlen für den Strom, den sie produzieren und an Bewohner verkaufen, die volle EEG-Umlage von aktuell 6,8 Cent pro Kilowattstunde. Sie erhalten einen Mieterstromzuschlag, der bei einer im Jahr 2017 errichteten Anlage schon damals höchstens bei 3,7 Cent pro Kilowattstunde lag und damit deutlich unter der EEG-Umlage. Aufgrund einer festgeschriebenen Degression ist die Zulage bei solchen älteren Anlagen heute teilweise bei Null angekommen. Das heißt: Mieterstrom rechnet sich nicht – erst recht nicht, wenn man auch noch den bürokratischen Aufwand für die Erzeugung, Abrechnung und die Beantragung der Zulage dazu nimmt. Hürden für Quartiersansätze und steuerliche Hemmnisse für Vermieter müssen beseitigt werden. Und speziell auch Eigentümer von kleinen Mehrfamilienhäusern sind benachteiligt, da Dienstleister für sie aus Kostengründen uninteressant sind. Wollen sie an ihre Nachbarn im Haus Mieterstrom liefern, werden sie bürokratisch wie ein Energieversorgungsunternehmen behandelt. Der Aufwand ist viel zu hoch. Kein Wunder, dass der im Mieterstromgesetz enthaltene Förderdeckel von 500 Megawatt Mieterstrom nicht einmal in Ansätzen erreicht wurde.“

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WiE: „Was müsste sich ändern, damit das Mieterstrom-Modell erfolgreich wird?“

Dr. Thomas Engelke: „Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat zusammen mit elf weiteren Verbänden im Jahr 2019 einen Sieben-Punkte-Plan für ein besseres Mieterstromgesetz vorgestellt. Darin enthalten sind verschiedene Forderungen an die Bundesregierung: So soll die Förderung der Produktion von Mieterstrom beispielsweise der Förderung des Verbrauchs von Eigenstrom gleichgestellt werden. Eigentümer von Einfamilienhäusern sind nämlich beim Eigenverbrauch von auf dem eigenen Dach erzeugten Strom von der EEG-Umlage ganz oder teilweise befreit. Zudem muss die finanzielle Förderung auch bei den Mietern und selbstnutzenden Wohnungseigentümern ankommen, damit sie einen Anreiz haben, wirklich den Strom vom eigenen Dach zu kaufen. Denn wer seinen Strom nicht vom Grundversorger kauft, kann auf dem Markt überall von günstigen Tarifen profitieren. Hier reicht es nicht aus, nur ans ökologische Gewissen zu appellieren. Zudem sollte eine Bagatellgrenze für kleine Mehrfamilienhäuser eingeführt werden., Unterhalb dieser Grenze sollte wie in Einfamilienhäusern das System des Eigenstroms anstatt des Mieterstroms eingeführt werden, um auch für die Bewohner dieser Häuser PV-Strom attraktiv zu gestalten. “

WiE: „Müssen Wohnungseigentümergemeinschaften die Photovoltaikanlage selbst kaufen und betreiben?“

Dr. Thomas Engelke: „Nein. Häufig setzen die Eigentümer auch einen Dienstleister ein, der die Anlage betreibt oder sie sogar in seinem Eigentum behält und an die WEG vermietet. Der Dienstleister übernimmt dann die technische und administrative Arbeit. Je nach Angebot kann sich das besser rechnen, als wenn die WEG selbst aktiv wird.

Mieterstrom an sich ist ja eine gute Sache. Damit kann die Energiewende in den Städten vorangebracht werden und viele Haushalte in Mehrfamilienhäusern können in den Genuss von nachhaltigem und günstigen Strom kommen. Allein die Bundesregierung muss endlich handeln und kurzfristig ein Mieterstromgesetz vorlegen, das eine echte Wirkung für Klima und Verbraucher entfaltet. Eine Anpassung des Gesetzes ist derzeit im Bundeswirtschaftsministerium in Arbeit.“

Weitere Informationen zum Mieterstrom-Modell erhalten Sie u.a. beim Bundeswirtschaftsministerium.

Hinweise von WiE:

  • WEGs können die Installation einer Photovoltaikanlage in der Regel als Modernisierungsmaßnahme mit doppelt qualifizierter Mehrheit beschließen. Auch das Pachten einer Anlage (z.B. bei den Stadtwerken oder einem Dienstleister) ist möglich, nähere Informationen zu dieser Möglichkeit finden Sie hier.
  • Sie interessieren sich für die Installation und den Betrieb einer Photovoltaikanlage bzw. das Pachten einer Photovoltaikanlage? Dann sollte Ihre WEG sich zunächst umfassend informieren und fachkundig beraten lassen, nicht nur in technischer Hinsicht.
  • Insbesondere gilt es zu klären, ob die WEG den Strom ausschließlich für den Eigenbedarf bzw. den Verkauf an die Bewohner produzieren möchte oder ob sie den Strom bzw. einen Teil davon auch ins öffentliche Netz einspeisen willen (im letzteren Fall erzielt die WEG gewerbliche Einkünfte, die ggf. zu versteuern sind). Die Beratung durch einen unabhängigen Steuerberater ist daher zu empfehlen. Lesen Sie hierzu auch diese Informationen.