Systemwechsel ohne Gebrauchsanweisung / Viele Verfahrensfragen offen / Keine direkte Teilhabe der Wohnungseigentümer am Gesetzgebungsverfahren

Ein Kommentar von Gabriele Heinrich, Vorstand von Wohnen im Eigentum

24.11.2020. Gravierende Änderungen kommen ab dem 01.12.2020 auf die Eigentümer von rund 10 Millionen Wohnungen bundesweit zu. Mit der umfassenden Reform des Wohnungseigentumsgesetzes erhält die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) die gesamte Verantwortung für die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums zugewiesen, neu definiert wurden die Position der einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber der WEG, die Verwalterstellung und die Stellung des Beirats. Der Verbraucherverband Wohnen im Eigentum (WiE) blickt zurück auf ein Gesetzgebungsverfahren „aus dem Elfenbeinturm“, das unter direkter Einbeziehung der Wohnungseigentümer hätte besser laufen können. Denn jetzt sind die Wohnungseigentümer gefordert, mit der neuen Situation zurechtzukommen, und sie sind mit einer Vielzahl offener Fragen konfrontiert. Da sie für den Systemwechsel und die anderen wichtigen Änderungen wohl keine „Gebrauchsanweisung“ erhalten, müssen sie selbst für die „Installation und Probeläufe“ in den WEGs Sorge tragen und die Kosten übernehmen. Wären hier nicht Hilfestellungen seitens des Bundesjustizministeriums, das für die gravierenden Änderungen verantwortlich ist, zu erwarten?

Mehr Rechtsklarheit im System schafft neue Unsicherheit in der Praxis

Das neue Gesetz wird in juristischer Fachliteratur als „die größte Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz) seit seiner Schaffung im Jahr 1951“ bezeichnet. Es zeichnet sich durch eine neue, eindeutige Rollenverteilung aus. Zuständig für alle Angelegenheiten des Gemeinschaftseigentums ist jetzt die Wohnungseigentümergemeinschaft als Verband (WEG). Das schafft Rechtsklarheit für die Rechtsprechung, aber auch für die Wohnungseigentümer. Jeder weiß jetzt, dass sämtliche Ansprüche auf Beschlussumsetzung, ordnungsgemäße Jahresabrechnung, Abwehr von unerlaubten Eingriffen ins Gemeinschaftseigentum etc. oder auch auf Einsichtnahme in die Verwaltungsunterlagen an die WEG – und nur an diese – zu richten sind. Der Verwalter ist handelndes Organ der WEG und der Beirat Kontrollorgan. Unklar ist jedoch, welche Auswirkungen dieser Systemwechsel in der Praxis tatsächlich haben wird. Denn die WEG ist ein abstrakter, rechtsfähiger Verband. Bekommt der Verband mehr Verantwortung, müssen sich die Wohnungseigentümer fragen, wie sie das Sagen behalten – damit die Geschicke der WEGs jetzt nicht noch stärker als bisher von externen Dienstleistern gelenkt werden. Denn eines bleibt: Am Ende des Tages sind es die einzelnen Eigentümer, die alles bezahlen, was die WEG tut oder was sie unterlässt.

Vor diesem Hintergrund sind für die Wohnungseigentümer noch viele formale Abläufe und Verfahrenswege nach neuem Recht unklar, gerade auch im Zusammenhang mit Forderungen an Verwalter, mit den neuen „Baurechten“ für die einzelnen Wohnungseigentümer und mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen „Schädiger“ – seien es Verwalter, Miteigentümer oder andere. Noch ist unklar, wie Schäden ausgeglichen werden können und nicht einfach „sozialisiert“ werden, also – mangels Vorgehen, z.B. gegen Verwalter – von der Eigentümergemeinschaft bezahlt werden.

Viele Abläufe und Verfahrenswege sind noch vollkommen unklar 

Die neue Rechtsklarheit schafft also (erst einmal) viele neue (Rechts-)Unsicherheiten. Fragen über Fragen werden gerade an WiE herangetragen, z.B.:

  • Müssen jetzt ganz viele außerordentliche Eigentümerversammlungen abgehalten werden,
    • weil Eigentümer zukünftig viele individuelle Bauwünsche umgesetzt haben wollen,
    • um die Einsichtnahme in Verwaltungsunterlagen durchsetzen zu können,
    • weil einzelne Eigentümer im Schadensfall nicht mehr selbst gegen Miteigentümer, Verwalter oder auch Handwerker vorgehen können, sondern immer nur die WEG zuständig ist?
  • Wie muss und darf der Verwaltungsbeirat den Verwalter überwachen?
  • Wann und wie weit dürfen Verwaltungsbeiratsvorsitzende ohne Beschluss der WEG gegenüber Verwaltern vorgehen? Wo sind die Grenzen?
  • Wie können die Wohnungseigentümer Einfluss auf den Verwaltervertrag nehmen, diesen also in ihrem Sinne aushandeln?

Die vom Gesetzgeber bezweckte Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist (noch) nicht gegeben. Die Wohnungseigentümer bilden zwar vom System her – gemeinsam – das Entscheidungsorgan des Verbands, dessen Handeln sie durch ihre Beschlüsse und Vereinbarungen bestimmen. Aber – wie gesagt – wie der träge Tanker WEG agieren und den Verlust der Direktansprüche der Eigentümer praktisch gesehen kompensieren kann, ist vielen noch unklar. Damit hat sich das Bundesjustizministerium (BMJV), das die Gesetzesvorlage geliefert hat, nicht befasst.

Das Gesetzgebungsverfahren war geprägt von juristisch-akademischem Denken weitgehend ohne Einbeziehung der Betroffenen

Aus dem eben Beschriebenen wird einer der wesentlichen Schwachpunkte des Gesetzgebungsverfahrens offenkundig: die fehlende Beteiligung der Wohnungseigentümer. In vielen gesellschaftlichen und politischen Bereichen hat sich herumgesprochen, dass politische und soziale Ziele nur durch eine Teilhabe der Betroffenen am politischen Prozess bzw. Gesetzgebungsprozess erreicht werden können. Gerade das Wohnungseigentumsgesetz hätte sich für ein partizipatives Gesetzgebungsverfahren angeboten, da die gesetzlichen Zielgruppen überschaubar sind: in allererster Linie die Wohnungseigentümer und Verwalter, in zweiter Reihe zudem Mieter, Rechtsanwender und Auftragnehmer. Sich mit der Praxis in den WEGs auseinanderzusetzen und daraus den Reformbedarf für das WEGesetz abzuleiten, war offenbar nie ein Anliegen des BMJV. Die eingeführten formalen Beteiligungsverfahren hin zu einem Gesetzentwurf wurden zwar eingehalten – es wurden Stellungnahmen von Verbänden eingeholt, auch von WiE –, aber eine breite, öffentliche Diskussion wurde gescheut. Um interessierte Wohnungseigentümer zu erreichen, wären andere Vorgehensweisen erforderlich gewesen, etwa empirische Forschung mit Umfragen und Interviews u.a. Sämtliche Ansätze, die von Wohnen im Eigentum (WiE) und anderen beigesteuert worden sind, wurden ignoriert.

Die Vorgehensweise zum Gesetz war rein juristisch-akademisch und nicht problembezogen an der Praxis orientiert. Auf Fachebene tauschten sich die Verfasser des Gesetzentwurfs intensiv mit anderen Juristen aus – u.a. „Experten aus Wissenschaft und Praxis“, die zum Teil mit den Verwalterverbänden gut vernetzt sind – siehe Kommentar vom 29.8.2020 im Tagesspiegel. So ist es nur folgerichtig, dass das neue Wohnungseigentumsgesetz als Spezialisten- und „Technokraten“gesetz in erster Linie den Juristen dient, den Richtern und Rechtswissenschaftlern, nicht aber den Wohnungseigentümern.

Damit nicht genug: Auch die von wissenschaftlicher Seite geforderte breitere wissenschaftliche Diskussion wurde abgelehnt. Zu groß war wohl die (berechtigte) Befürchtung, dass das „glasklare“ Konzept, das im Bundesjustizministerium entwickelt worden war, noch geändert würde. Anzunehmender Weise war das auch der Grund, weshalb der Gesetzentwurf in nur wenigen Wochen durch den Bundestag „geschoben“ werden sollte. Zum Vergleich: Das Gesetz über die Verteilung von Maklerkosten bei der Vermittlung von Kaufverträgen (im Juni verabschiedet, in Kraft treten wird es im Dezember) oder das immer noch im Ministerium sich in Bearbeitung befindende Bauträgervertragsrecht wurden deutlich länger, teils über Jahre, diskutiert und entwickelt.

Erst die Regierungsparteien im Bundestag haben erkannt – voran die SPD, dann mitgetragen von der CDU/CSU –, dass die Praxis zu kurz kam, und haben zumindest noch einige wichtige Korrekturen an den Schwachstellen des Gesetzes vorgenommen. So wurden noch Korrektive eingeführt, damit das Gesetz praxisorientierter umgesetzt werden kann und die Machtverhältnisse in den WEGs ausgewogener bleiben.

Intransparenz schaffte Unsicherheiten, Skepsis und Widerspruch

Diesem Reformprozess fehlte es an Transparenz, also an Information und Aufklärung der betroffenen Zielgruppen über Vor- und Nachteile, Risiken und zukünftige Vorgehensweisen (es reicht nicht, einfach nur den Referenten- und Gesetzentwurf auf die ministerielle Website zu stellen) – insgesamt fehlte so auch die Vermittlung/Erläuterung der Notwendigkeit dieser gravierenden Änderungen außerhalb juristischer Fachzirkel. Damit fehlt auch der Rückhalt dafür bei vielen Wohnungseigentümern, obwohl sie diejenigen sind, die die Reform umsetzen müssen und sollen.

Eine Reform hinter verschlossenen Türen fördert Skepsis, Ohnmachtsgefühle und Politikverdrossenheit. WiE hatte deshalb bewusst dagegen gearbeitet, eine breite und umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit geleistet, um Wohnungseigentümer über das Gesetzgebungsverfahren zu informieren, um ihnen die Regelungen zu erklären und sie über die zu erwartenden Folgewirkungen aufzuklären – siehe Dokumentation unter http://www.wohnungseigentumsgesetz.org. WiE hat dies als seine Verpflichtung als Verbraucherverband angesehen (und dafür viel Zuspruch, Unterstützung und auch Dankesbriefe von Wohnungseigentümern erhalten). Die Politik, der Bundestag – konkret die SPD und dann auch die CDU/CSU – haben bewiesen, dass sie ihre Rolle als Gesetzgeber ernst nehmen und haben nachgebessert, das Ruder allerdings nicht mehr versetzen können und wollen. So funktioniert Demokratie, so kann der Glaube in die Instanzen gewahrt werden – auch wenn das pathetisch klingt.

Ein Systemwechsel ohne Gebrauchsanweisung – wer übernimmt die Kosten?

Bleiben die vielen Fragen, auf die die Wohnungseigentümer nun Antworten brauchen: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie – ja wen denn? Verwalter haben keinen Wissensvorsprung, müssen selbst erst sehen, wie sie die Neuregelungen verstehen. Auch werden sie, gerade wenn es gegen sie geht, nicht im Interesse der Eigentümer beraten. Öffentliche Stellen leisten keine kostenfreie Rechtsberatung. Rechtsanwälte für eine regelmäßige, generelle Unterstützung zu engagieren, ist auf Dauer zu teuer. Die Aufklärung allein den Eigentümerverbänden zu überlassen – WiE übernimmt diese Aufgabe sowieso schon seit langem – bedeutet, Verantwortung abzuweisen, die das Bundesjustizministerium als Initiator des Systemwechsels übernehmen müsste. Es bleibt den Eigentümern also nur, sich selbst – ggf. mithilfe ihrer Verbände – in die komplizierten rechtlichen Zusammenhänge einzuarbeiten und Lehrgeld zu zahlen, wollen sie das bereits erwähnte Heft des Handelns nicht aus der Hand geben.

WiE hätte sich gewünscht, dass das neue Gesetz nicht nur ein „rundes“ System mit Gebrauchsanweisung einführt, sondern auch weitere drängende Praxisprobleme gelöst hätte, so etwa bei Jahresabrechnungen, Erhaltungsplanung oder der Digitalisierung der WEGs. Doch wie heißt es so schön: Nach der Reform ist vor der Reform – und so bleibt nur zu hoffen, dass die nächsten Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz ihren Ausgangspunkt bei den Problemen der Eigentümer und nicht der Juristen nehmen.

 

Lesen Sie auch die kurze Pressemitteilung: Neues WEGesetz ab Dezember: Systemwechsel ohne Gebrauchsanweisung