10.03.2021. Das WEGesetz wird in diesem Monat 70 Jahre alt. Lesen Sie hier einen Kommentar zu diesem runden Geburtstag von Michael Nack, Rechtsreferent bei Wohnen im Eigentum (WiE) und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht.

Auch in der Pandemie gibt es runde Geburtstage. Hier ist das Geburtstagskind kein Mensch, sondern ein Gesetz. Das Wohnungseigentumsgesetz (WEGesetz) wurde am 15.03.1951 verabschiedet, am 20.03.1951 trat es in Kraft. Das WEGesetz war nie ein wichtiges Gesetz. Das zeigen 3 Reformen in 70 Jahren! Zum Vergleich: Die Mietgesetze werden – gefühlt – in jeder Legislaturperiode angepasst und geändert. Wie Menschen machen auch Gesetze während ihres Bestehens mehrere Entwicklungsstufen durch.

Nach seiner „Geburt“ 1951 gab es drei weitere rechtliche Entwicklungsstufen: die Änderung zum 30.07.1973, die WEG-Novelle zum 01.07.2007 und nun ist das WEG zum 01.12.2020 in die vierte Entwicklungsstufe eingetreten – nämlich durch das 2018 angestoßene und am 17.09.2020 verabschiedete „Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes und zur Änderung von kosten- und grundbuchrechtlichen Vorschriften (Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz – WEMoG)“. Der Geburtstag soll hier zum Anlass genommen werden, die letzten Reformen kurz vorzustellen und zu bewerten. Klar nimmt das neue Gesetz dabei den größten Raum ein.

Babyzeit und Kindheit

Bei der Verabschiedung 1951 ging der Gesetzgeber von überschaubaren, eher kleinen Wohnungseigentumsanlagen mit mehrheitlich dort wohnenden Selbstnutzern aus, unter ihnen solche, die gute Verwaltungs-, Bau- oder Rechtskenntnisse haben – Ingenieure, Anwälte, Kaufleute, Techniker. Man hatte nur Neubauten im Blick, keine Umwandlungen und keine Sanierungen / Modernisierungen. Doch seit der Nachkriegszeit haben sich die Größen und Strukturen von Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) stark ausdifferenziert.

Erste Erfolge als Tween

Die wesentliche Änderung 1973 war es, der Praxis von Wohnungsbaugesellschaften und Bauträgern einen Riegel vorzuschieben, langfristig und unwiderruflich Verwalter*innen zu bestellen. Deren Bestellungszeit konnte vor dieser Änderung sogar Jahrzehnte betragen. Diese ganz erhebliche Einschränkung der Eigentumsrechte wurde durch die Gesetzesänderung aufgehoben und die Bestellungszeit auf 5 Jahre befristet. Die Änderungen hätten weitergehen können und nach Auffassung einiger Fachleute auch müssen. Eine Initiative Bayerns im Bundesrat 1977 sowie ein Regierungsentwurf 1978 wurden aber nicht weiterverfolgt. Man mag vermuten, dass die Wohnungswirtschaft interveniert hat, der insbesondere der Vorschlag Bayerns, die Größe von Wohnanlagen auf 100 Einheiten zu beschränken, nicht gefallen haben dürfte. Denn in den 70er Jahren stand Wohnungseigentum im Zeichen großer Wohnungseigentumsanlagen mit zum Teil mehr als 1.000 Wohnungen.

Der neuentdeckte Mittfünfziger!

Im Jahr 2005 hat der BGH – gleichsam einer Expedition von Zoologen im Paragraphendschungel auf der Suche nach einer neuen Tierart – entdeckt: Die Gemeinschaft bürgerlichen Rechts ist rechtsfähig! Dies führte folgerichtig zu der Erkenntnis, dass auch die Wohnungseigentümergemeinschaft (teil-)rechtsfähig ist, nämlich soweit es um die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums geht. Die Umsetzung dieser Erkenntnis in der WEG-Novelle 2007 war indes eher unvollständig. Das WEGesetz befand sich in einer Trotzphase. Trotz ein paar weiterer Änderungen blieb das Wohnungseigentumsrecht komplex, schwer verständlich und die Rechtsprechung durchsetzt von Einzelfallentscheidungen, was es für die Anwender – Eigentümer*innen, Verwalter*innen, aber auch Juristen und Juristinnen – nicht einfacher machte. Die Novelle sollte zwar auch zum Beispiel die energetische Sanierung erleichtern, sie gab aber keine Antwort zu Themen wie dem demographischen Wandel und dem Ergebnis verantwortungsloser Privatisierung durch überteuerte Verkäufe an überforderte Kleinanleger*innen mit Hilfe von „Mondschein-Notaren“, man erinnere sich, das Thema wanderte durch die Medien unter der Bezeichnung „Schrottimmobilien-Verkäufe“.

Ein endlich erwachsen gewordener 70-Jähriger?

Mit der WEG-Reform wurde nun die „Vollrechtsfähigkeit“ der Wohnungseigentümergemeinschaft mit allen Konsequenzen in das Gesetz aufgenommen. Damit verbunden ist ein Systemwechsel – eine Annäherung der Wohnungseigentümergemeinschaft an das Gesellschaftsrecht. Zugleich wurden streitlastige und für die Rechtsprechung schwierig umzusetzende Regelungen an die gesellschaftliche und technische Entwicklung angepasst. Bereits aus dem langen Titel des Änderungsgesetzes wird die Intention klar: Elektromobilität und Modernisierung. Alle Eigentümer*innen sollen einen Rechtsanspruch auf das Laden elektrischer Fahrzeuge und schnelles Internet haben. Lex Tesla und Lex Netflix für alle!

Der technische Fortschritt soll auch bei der Willensbildung der Wohnungseigentümer*innen im Informations- und Pandemiezeitalter mithelfen. Die Möglichkeit, in Textform Vollmachten zu erteilen oder eine außerordentliche Versammlung einzufordern, bringt die E-Mail in den Werkzeugkasten der Gemeinschaft. Die Online-Zuschaltung von Eigentümer*innen kann für künftige Versammlungen beschlossen werden und macht das Internet zum Diskussionsmedium.

Flexibler wird auch der Umgang mit Sonderrechten: über die Sondernutzungsrechte hinaus gibt es nun die Möglichkeit Freiflächen, insbesondere Stellplätze, als Sondereigentum auszuweisen. Stellplätze können damit isoliert von einer Wohnung verkauft werden. Für Neubauten eine attraktive Lösung, für Bestandsbauten eher schwierig umzusetzen, weil der erforderliche Aufteilungsplan bisher keine Freiflächen ausweist und die Zustimmung sämtlicher Miteigentümer*innen für eine Grundbuchänderung jedenfalls in einer größeren Wohnanlage eher Theorie bleiben dürfte.

Die Stellung der Verwalter*innen wird erheblich gestärkt. Wie Geschäftsführer*innen eines Unternehmens können sie nun als gesetzliche Vertreter der „Firma Wohnungseigentümergemeinschaft“ gegenüber Dritten fast unbeschränkbar auftreten. Ob ihre Handlungen im Innenverhältnis – durch Beschlüsse der Gemeinschaft – abgedeckt sind, muss die Vertragspartner*innen genauso wenig interessieren, wie die Frage, ob GmbH-Geschäftsführer*innen im Interesse der Gesellschaft agieren.

Ob die in letzter Minute im Gesetzgebungsverfahren eingefügte Erweiterung der Befugnisse des Beirats, der nun ausdrücklich zum Kontrollorgan gegenüber den Verwalter*innen aufsteigt, ein ausreichendes Gegengewicht bildet, bleibt abzuwarten. Wünschenswert wäre, wenn diese allgemeine Zuständigkeitserweiterung in naher Zukunft durch Gerichtsentscheidungen gestärkt wird. Derzeit muss für die Praxis befürchtet werden, dass viele „Quasi-Aufsichtsräte“ den erweiterten Befugnissen der Verwalter*innen nicht auf Augenhöhe begegnen können.

Es ist eine Verbesserung, dass die Gemeinschaft sich nun ohne Begründung jederzeit von Verwalter*innen durch Abberufung trennen kann. Auch hier musste aber im Bundestag zugunsten der Eigentümer*innen noch kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens interveniert werden, damit die jederzeitige Abberufung nicht die Hintertür für vertragliche Vergütungsansprüche der Verwalter*innen bis zum Ende der Vertragslaufzeit offen lässt, sondern diese auf maximal 6 Monate beschränkt werden.

Im Ergebnis wurden aber nicht die Eigentümerprobleme und -interessen als Maßstab genommen, sondern mit einer umfassenden Reform sollte eine - vage formulierte - größere Verwaltungseffizienz erreicht werden. An eine sonstige Teilhabe der am stärksten von diesem Gesetz betroffenen Gruppe – die Wohnungseigentümer*innen – wurde nicht gedacht, obwohl dies mindestens 5,66 Mio. Menschen unmittelbar betrifft. Denn nach einer Hochrechnung, die die Basis für die Gesetzesreform bildete, gab es 2018 ca. 42 Mio. Wohnungen, davon mindestens 9,29 Mio. Eigentumswohnungen mit mindestens 5,66 Mio. Eigentümer*innen. Die Zahlen dürften sich heute an 10 Mio. Eigentumswohnungen und 6 Mio. Eigentümer*innen annähern.

Die Möglichkeit des Einsatzes technischer Neuerungen löst alte Probleme nicht, vor allem nicht diejenigen, die zwischen Eigentümer*innen und Verwalter*innen in der täglichen Praxis, im „Tagesgeschäft“, entstehen. Das WEMoG ist ein Gesetz von Juristen für Juristen. Nicht alles was rechtsdogmatisch elegant gelöst ist, ist deshalb auch für die praktische Anwendung genauso tauglich.

Nicht anders sieht es bei den Neuregelungen zu Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung bzw. den insoweit einer neuen Systematik unterworfenen Beschlussfassungen aus. Wie eine Jahresabrechnung auszusehen hat, regelt das Gesetz nach wie vor nicht. Es mag auf den ersten Blick und für die Rechtsprechung begrüßenswert erscheinen, wenn nicht mehr über ein ggf. umfangreiches Zahlenwerk beschlossen werden muss und nicht mehr jeder kleine Fehler in diesem Zahlenwerk zur Anfechtung führen kann. Die Chance, ein präzises Gerüst zu entwickeln, wonach Jahresabrechnungen für alle Eigentümer*innen übersichtlich und transparent zu erstellen sind, hat der Gesetzgeber aber nicht genutzt. Da hilft auch der Rechtsanspruch auf einen Vermögensbericht nicht weiter – für den im Übrigen dasselbe gilt wie bei den anderen Ansprüchen: Immer zuerst gegen die Gemeinschaft, die dann schauen muss, wie sie ihre Verwalterin bzw. ihren Verwalter dazu kriegt, den Anspruch zu erfüllen.

Ob die vereinfachten Möglichkeiten, bauliche Veränderungen durchzusetzen, zu einem sinnvollen Modernisierungsschub führen oder stattdessen zu einem Auswuchs diverser Einzelmaßnahmen mit ebenso diversen individuellen Kostenverteilungsregelungen wird erst die Zukunft zeigen.

Schließlich wird das Erwachsenwerden zum Teil ausdrücklich in die Zukunft verschoben. Den Anspruch auf einen zertifizierten Verwalter bzw. zertifizierte Verwalterin gibt es erst ab dem 01.12.2022. Das erstaunt nicht, da erst Vorbereitungen getroffen werden müssen. Begrüßenswert ist – immerhin –, dass es überhaupt verbindliche Qualitätsansprüche geben soll. Bisher gilt für Verwalter*innen nach § 34c Gewerbeordnung eine Weiterbildungspflicht im Umfang von 20 Stunden alle 3 Jahre.

Der BGH als Seniorenbetreuer?

Das WEGesetz ist mit 70 zwar noch im unteren Seniorenalter, es dürfte aber den BGH als Seniorenbetreuer dringend brauchen. Der BGH musste Eigentümer*innen im Verhältnis zueinander, zur Gemeinschaft und zu Verwalter*innen schon in der Vergangenheit in zahlreichen Entscheidungen zur Seite stehen und offene Rechtsfragen klären. Mit der richterlichen Rechtsfortbildung mussten sich alle Seiten arrangieren. Das war nichts grundsätzlich Schlechtes. Der BGH hat durchaus gewusst, wie er Eigentümer*innen zu ihrem Recht verhilft.

Aufgrund der Annäherung an das Gesellschaftsrecht sind nunmehr nicht mehr die Wohnungseigentümer*innen, sondern ist die rechtsfähige Gemeinschaft Trägerin der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums. Ansprüche der Eigentümer*innen richten sich nun gegen die Gemeinschaft. Das ist dogmatisch konsequent, für Juristen eine „glasklare“ Konstruktion, aber für die Eigentümer*innen unbefriedigend. Ein Beispiel: Eine in Rechtsprechung und Lehre bedeutsame Rechtsfigur ist der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Sie erlaubt Eigentümer*innen gegenüber Verwalter*innen unmittelbar Ansprüche geltend zu machen.

Der Gesetzgeber hat in seiner Begründung ausdrücklich unter Bezugnahme auf eine - diese Rechtsfigur bestätigende - BGH-Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Schutzwirkung weiter fortgelten sollte. In der bisher vorhandenen Rechtsliteratur wird unterschiedlich bewertet, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, diese Absicht mit dem Gesetzestext zum Ausdruck zu bringen.

Hier wird künftig gleichsam „über Bande gespielt“, d.h. Umwege eingeschlagen werden müssen, wenn Eigentümer*innen Ansprüche gegen die Gemeinschaft wegen Pflichtverletzungen des Verwalters bzw. der Verwalterin erheben müssen und sich die Gemeinschaft in einem zweiten Schritt überlegen muss, ihren Verwalter bzw. ihre Verwalterin in die Haftung zu nehmen. Dabei kommt dann noch hinzu, dass auch die obsiegenden Eigentümer*innen für den eigenen Erfolg mithaften, weil ihre Ansprüche aus dem Gemeinschaftsvermögen beglichen werden, das anteilig auch ihnen gehört. Klärende Worte der Gerichte bleiben abzuwarten. Zu befürchten steht, dass beim Rechtsschutz in vielen Fällen derzeit über Bande gespielt werden muss, bis die Rechtsprechung hier klare Regeln und Wege vorgibt.

Fazit: Durchwachsen, längst nicht altersweise und schon gar nicht ausgereift.

Happy Birthday, WEG! Aber denke nicht, du bist schon ausgewachsen und ausgereift. Die WEG-Reform mag dich in einigen Punkten auf den richtigen Weg gebracht haben. In anderen liegt dein Weg noch im Dunkeln jenseits des Paraphendickichts und auf der Suche nach erhellenden Worten des BGH.

Du wirst sie brauchen. Auch im Interesse der Eigentümer*innen! Erst dann können wir auch richtig feiern!

Bonn, den 10.3.2021

Wohnen im Eigentum