12.05.2022. Am 27.04.2022 hat das Bundeskabinett den vom Bundesminister der Justiz vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften“ beschlossen. Der VDIV Deutschland e.V. nahm das zum Anlass, wieder einmal die virtuelle Versammlung für Wohnungseigentümergemeinschaften zu fordern. Doch die dafür herangezogenen Argumente überzeugen nach wie vor nicht. Die Online-Teilnahme an der Eigentümerversammlung, also die Zuschaltung von Eigentümer*innen, ist ausreichend, wie WiE-Rechtsreferent Michael Nack erläutert.

Ganz im Sinne von Sir Winston Churchills Maxime „Never let a good crisis go to waste” („Lassen Sie niemals eine gute Krise verstreichen“) sollen Pandemie und Klimawende dafür herhalten, die Notwendigkeit von virtuellen Versammlungen vorzuspiegeln.

Die virtuelle Versammlung ist für Wohnungseigentümergemeinschaften weder erforderlich noch geboten.

WEGs sind keine Aktiengesellschaften

Die „juristisch glasklar umgesetzte“ Annäherung des WEG-Rechts an das Gesellschaftsrecht ist in vieler Hinsicht für die Eigentümer*innen schon ärgerlich und problematisch genug. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist aber schon im Ansatz nicht mit einer Aktiengesellschaft vergleichbar. Die Interessenlagen sind komplett unterschiedlich. In der Aktiengesellschaft geht es um das Bestehen am Markt, um Gewinnmaximierung, um Dividenden – es geht ums Geld. Auch Wohnungseigentümer schauen aufs Geld, keine Frage. Beim Wohnungseigentum geht es aber um mehr. Oft geht es um den Lebensmittelpunkt, das Miteinander, das Zusammenleben mit dem Nachbarn für mehrere Jahrzehnte und eben nicht nur um Investitionsfragen. Die Wohnung verkauft man nicht wie ein Aktienpaket wegen schlechter Quartalszahlen.

Die Pandemie ist kein Argument

Viele Eigentümerversammlungen haben während der Pandemie nicht stattgefunden. Aus der Umfrage von WiE Mitte 2021 - ergab sich, dass in über 40 Prozent der erfassten Eigentümergemeinschaften vom 01.01.2020 mindestens bis Mitte 2021 keine Eigentümerversammlungen stattgefunden hatten. Es bleibt zu hoffen, dass diese inzwischen nachgeholt worden sind.

Die Behauptung, es sei seit mehr als zwei Jahren kaum möglich, Eigentümerversammlungen durchzuführen, ist unzutreffend.

Denn ein Grund, sie nach wie vor nicht stattfinden zu lassen, ist nicht erkennbar. Impfstoffe sind verfügbar, die Inzidenzen sinken, die meisten Corona-Beschränkungen sind aufgehoben. Es gibt auch erste Entscheidungen, die die Position und Argumentationsrichtung der Gerichte deutlich machen und die Auffassung von WiE von Anfang Dezember 2021 bestätigen.

Zutrittsbeschränkungen wie „2G-plus“ stehen der Durchführung von Eigentümerversammlungen entgegen der Auffassung der Verwalterverbände nicht entgegen. Mit diesen Einschränkungen wird die Eigentümerversammlung nicht unzumutbar erschwert, der Ausschluss ungeimpfter Eigentümer*innen stellt keinen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Eigentümerrechte dar. Das Amtsgericht München brachte das in seiner Entscheidung vom 06.12.2021, 1293 C 19127/21 EVWEG, auf den Punkt: „Wer sich eigenverantwortlich gegen eine Impfung entscheidet, muss auch die sich hieraus ergebende Konsequenz tragen, auf unabsehbare Zeit nicht an Eigentümerversammlungen teilnehmen zu können“.

Tatsächlich gibt es diese Konsequenz aber derzeit nicht einmal. Geblieben ist derzeit – wenn überhaupt – nur noch die Maskenpflicht.

Falls nach wie vor Eigentümerversammlungen nicht stattfinden, dann nicht deshalb, weil sie nicht stattfinden dürften, sondern weil sie – ggf. pflichtwidrig – nicht einberufen werden. Hier werden sich diese Verwalter*innen fragen lassen müssen: Warum nicht? Warum immer noch nicht? Es gibt ja auch Verwaltungen, die Eigentümerversammlungen durchgeführt haben und durchführen. Anerkennen sollte man auch, dass es für diese viel Arbeit war.

Der Klimawandel ist kein Argument

Es gibt einen erheblichen Sanierungsstau in den WEGs und die Notwendigkeit, diesen zu beseitigen und hin zu erneuerbaren Energien zu forcieren ist dringender denn je. Diese Herausforderung zu meistern ist aber nicht von virtuellen Versammlungen abhängig. Eine virtuelle Versammlung beschleunigt nicht die Entscheidungsfindung.

Viel wichtiger als eine virtuelle Versammlung ist die zielgerichtete Förderung der WEGs und Wohnungseigentümer*innen, das Schaffen einer rechtlichen Basis und die Vorbereitung von Beschlüssen. Daran fehlt es. Ob diese Beschlüsse dann in Präsenz oder mit digitaler Unterstützung gefasst werden, ist nebensächlich.

Die Annahme, ohne eine gesetzliche Regelung für die virtuelle Versammlung würden wir – wie es der Geschäftsführer des VDIV Deutschland e.V. ausdrückte – „sehenden Auges auf einen klimapolitischen Abgrund zurasen“, trifft nicht zu.

Online-Teilnahme ausreichend

Der Sinn und die Vorteile der Digitalisierung der Eigentümerversammlung sind mit einem klaren Nein zur virtuellen Versammlung keinesfalls in Frage gestellt. Es geht nicht darum, die Digitalisierung zu bremsen. Im Gegenteil: Die Online-Teilnahme ist eine Chance, deren Nutzen jede WEG für sich konstruktiv und zukunftsoffen prüfen sollte. Sie ist aber auch ausreichend.

Man muss sich über die Begrifflichkeiten klar sein:

Die Online-Teilnahme ist etwas anderes als die virtuelle Versammlung. Die Online-Teilnahme ermöglicht das Zuschalten in die Präsenzversammlung. Sie eröffnet also eine Wahlmöglichkeit. Teilnahme im physischen Versammlungsraum und den direkten Kontakt oder Teilnahme von Zuhause, weil es bequemer ist? Das dürfen die Eigentümer*innen selbst entscheiden, und zwar jede*r für sich für jede Versammlung.

Die virtuelle Versammlung muss hingegen als Einschränkung verstanden werden. Die Mehrheit könnte damit der Minderheit aufzwingen, wie Versammlungen durchzuführen sind – nämlich nur noch im virtuellen Raum. Dann gibt es keine Wahl mehr. Den physischen Versammlungsraum gibt es nicht, das direkte „sich in die Augen schauen“, die Wahrnehmung von Körpersprache und Stimmungen wird durch Kameras – gerade nicht – ersetzt. Bei sehr wichtigen Entscheidungen ist die physische Präsenz notwendig. Wer mit der entsprechenden Technik nicht umgehen kann, bleibt gezwungenermaßen außen vor. Das ist das Gegenteil von Entscheidungsfreiheit.

Forderung nach gesetzlicher Regelung im Grunde unehrlich

Tatsächlich geht es doch um etwas anderes: Eine virtuelle Versammlung bringt erhebliche Vereinfachungen mit sich – auch und gerade für die Verwalter*innen. Die Suche nach einem Versammlungsort und die Fahrt dorthin entfallen. Der oder die Versammlungsleiter*in kann die virtuelle Versammlung bequem vom Schreibtisch führen, Überstunden wegen Versammlungen in den Abendstunden können zumindest teilweise vermieden werden. Dokumente sind griffbereit, das Protokoll kann direkt am PC erstellt werden. Möglicherweise kann auch Personal eingespart werden.

In Einzelfällen könnte die virtuelle Versammlung auf Kosten der Transparenz und zu Lasten „unbequemer“ Eigentümer*innen gehen. Wer will denn ohne präsente Eigentümer*innen feststellen – geschweige denn vor Gericht beweisen – können, dass die verwalterkritischen Bemerkungen der gezielten Stummschaltung zum Opfer fielen und keinem zufälligen Verbindungsabbruch?

Wenn sich Verwalterverbände für die gesetzliche Regelung der virtuellen Versammlung aussprechen, dann vor allem im Interesse bestimmter Mitglieder, nämlich den Verwalter*innen, die mit den Versammlungen in Verzug gekommen sind. Die von ihnen vorgebrachten Gründe sind vorgeschoben.

Für die angeführten Probleme ist die virtuelle Versammlung nicht das alternativlose Heilmittel, als das es angepriesen wird. Im Gegenteil: Sie löst keine Probleme, sondern ist eher geeignet, neue zu schaffen – und zwar zu Lasten der Eigentümer*innen.