11.12.2023. Schnee und Glätte sorgen in vielen Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) immer wieder für Unsicherheiten bezüglich der Verkehrssicherungspflicht. Im Interview erläutert WiE-Rechtsreferent Michael Nack, was Wohnungseigentümer*innen hierzu wissen müssen und was gilt, wenn externe Dienstleister mit im Spiel sind.

WiE: Was genau ist eigentlich die Verkehrssicherungspflicht?

Michael Nack: „Die Verkehrssicherungspflicht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert und liegt bei den Eigentümer*innen. Die rechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft muss dafür sorgen, dass keine Besucher*in, Bewohner*in oder Passant*in auf dem Grundstück oder im Gebäude zu Schaden kommt. Das bedeutet, die WEG muss beispielsweise im Herbst dafür sorgen, dass die Wege frei von Laub sind, im Winter muss bei Schnee und Glätte geräumt und gestreut werden. In der Regel sind WEGs und Hauseigentümer*innen übrigens nicht nur für das Grundstück, sondern auch für die öffentlichen Gehwege vor dem Grundstück verantwortlich, wenn die Kommune die Kehr- und Räumpflicht auf die Anlieger übertragen hat. Hier hilft ein Blick in die Satzung der Stadt oder Gemeinde. Die Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich aber keinesfalls auf das Laubfegen und den Winterdienst, sondern es müssen auch alle anderen Gefahrenquellen entfernt bzw. entsprechend abgesichert werden – unter anderem morsche Äste, kranke Bäume, Gartenteiche, Spielgeräte, Dach (Stichwort: herunterfallende Ziegel). Eine gute Beleuchtung der Außenanlage gehört auch dazu – sowie die Legionellenprüfung.“
 

WiE: Was hat sich bezüglich der Verkehrssicherungspflicht mit dem neuen WEGesetz geändert und was gilt, wenn doch etwas passiert?

Michael Nack: „Mit dem novellierten Wohnungseigentumsgesetz, das seit 01.12.2020 gilt, sollten Wohnungseigentümergemeinschaften ihre Verwaltung nicht mehr mit der Verkehrssicherungspflicht beauftragen. Denn nach der neuen Gesetzeslage ist der Verwalter gesetzlicher Vertreter der WEG – also ausführendes Organ, das die Pflichten der WEG erfüllt – und die WEG haftet immer für Pflichtverletzungen ihres Organs gegenüber Dritten. Das bedeutet: Wenn sich jemand auf dem Grundstück oder im Gebäude verletzt, haftet die WEG auch dann, wenn die Verkehrssicherungspflicht auf den Verwalter übertragen wurde. Entgegen anderen Dienstleistern, wie z.B. einem Hausmeisterservice, kann die WEG Schadensersatzansprüche nicht mit dem Argument abwehren, sie habe den Verwalter ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht. Solche Schadensersatzansprüchen können teuer werden. Bei schlimmeren Verletzungen kann es passieren, dass die WEG Verdienstausfälle oder im Worst Case sogar Rentenzahlungen leisten muss.“

WiE: Und wie können WEGs sich hiergegen absichern?

Michael Nack: „Empfehlenswert für WEGs ist es, eine Haus- und Grundbesitzerhaftpflichtversicherung abzuschließen. Sie sichert Sach- und Personenschäden ab, die Dritten entstehen und die vom Gebäude oder Grundstück ausgehen. Die WEG ist Versicherungsnehmerin. Solch eine Versicherung ist aber auf keinen Fall ein Freifahrtschein für eine WEG, der von der Verkehrssicherungspflicht entbindet. Denn die Versicherung prüft im Schadensfall, ob die WEG ihrer Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht das Risiko, dass sie im Zweifel nicht oder nur anteilig leistet.“

WiE: Was gilt, wenn die WEG bestimmte Aufgaben an ein Dienstleistungsunternehmen delegiert?

Michael Nack: „Wenn eine WEG per Mehrheitsbeschluss ein Dienstleistungsunternehmen, zum Beispiel einen Hausmeister-Service, mit Laubfegen oder Winterdienst beauftragt, kann sie sich von der Haftung bei Verstößen gegen die Verkehrssicherungspflicht befreien – vorausgesetzt, die Verwaltung hat das Unternehmen ordnungsgemäß ausgewählt und hat dieses auch ordnungsgemäß überwacht. Letzteres bedeutet, die Verwaltung sollte stichprobenartig kontrollieren, ob der Dienstleister seine Pflichten sorgfältig erfüllt. Wenn Wohnungseigentümer*innen auffällt, dass es hier Versäumnisse gibt, zum Beispiel dass der Schnee nicht geräumt wird, sollten sie die Verwaltung umgehend schriftlich darüber informieren. Diesen Punkt der Überwachung sollten WEGs in ihren Beschluss zur Beauftragung mit aufnehmen. Verstöße der Verwaltung gegen die Überwachung der Dienstleister lassen zwar die Haftung der WEG nicht entfallen – sie kann dann aber beschließen, den Verwalter in Regress zu nehmen, sich also den geleisteten Schadensersatz vom Verwalter zurückholen.“