Wohnen im Eigentum (WiE): Nach 72 Jahren Wohnungseigentumsgesetz endlich Beteiligung der Wohnungseigentümer*innen bei Gesetzesänderungen vorsehen!

05.01.2023 In diesem Jahr, in 2023, soll es wieder Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz (WEGesetz) geben, die letzte große Reform war erst 2020. Trotz seiner Kritik am jetzigen Vorhaben – der geplanten Einführung einer reinen Online-Eigentümerversammlung - fordert der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum: Wenn es eine Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz) geben wird, dann müssen die Wohnungseigentümer*innen direkt im Rahmen eines partizipativen Gesetzgebungsverfahrens beteiligt werden. In den vergangenen 72 Jahren seit Bestehen des WEGesetzes wurden sie noch nie nach eigenen Vorstellungen, Bedürfnissen und Problemen mit dem Gesetz befragt, obwohl das Wohnungseigentumsgesetz sich direkt an die Wohnungseigentümer*innen richtet, sozusagen „ihr Gesetz“ ist. Erfahrungen mit Bürgerbeteiligungsverfahren liegen ausreichend vor. Für das Bundesjustizministerium wäre es allerdings ein Novum. WiE sieht ein partizipatives Gesetzgebungsverfahren deshalb als eine Chance für die FDP, Bürgernähe zu demonstrieren.

Das Wohnungseigentumsgesetz wurde vor zwei Jahren umfassend reformiert. Es ist zum 1.12.2020 in Kraft getreten. Vorbereitet wurde die damalige Gesetzesreform von Juristen in einer Bund-Länder-AG, darauffolgend vom Bundesjustizministerium (BMJ) ausgearbeitet und dann den Verbänden zu Stellungnahmen vorgelegt. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum hat bereits damals kritisiert, dass die Wohnungseigentümer*innen, für die dieses Gesetz in erster Linie gilt und hauptsächlich bestimmt ist, zur Verwaltung ihres Gemeinschaftseigentums, nicht gefragt und auch nicht beteiligt wurden. Dabei müssen die Wohnungseigentümer*innen die Folgen und Kosten der Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz tragen. Erwartungsgemäß brachte das neue Gesetz einschneidende, gravierende Änderungen für die Wohnungseigentümer*innen.

Bereits nach zwei Jahren steht 2023 eine Neuerung oder erneute Reform des WEGesetzes an. Unter der Zielvorgabe „mehr Digitalisierung“ soll die Möglichkeit der Durchführung reiner Online-Eigentümerversammlungen im WEGesetz erleichtert werden. WiE hat sich gegen dieses Vorhaben ausgesprochen, da damit die Gefahr der Ausgrenzung älterer oder technisch nicht ausgerüsteter, nicht online-affiner Eigentümer*innen besteht. Außerdem ist es bereits nach jetzigem Gesetz möglich, hybride Eigentümerversammlungen (Vor-Ort-Versammlungen mit der Möglichkeit der Online-Zuschaltung) abzuhalten oder sogar reine Online-Versammlungen durchzuführen, wenn alle Eigentümer*innen damit einverstanden sind.

„Trotz aller Kritik am jetzigen Vorhaben: Wenn das WEGesetz vom Gesetzgeber wieder geändert werden soll, dann erwarten wir, dass vorher endlich die Wohnungseigentümer*innen gefragt und beteiligt werden.“ fordert Gabriele Heinrich, Vorständin von WiE. „Sie wissen, was sie brauchen, um ihr Gemeinschaftseigentum sozial ausgewogen, gruppenkonform, modernisierungstauglich und sachgerecht zu verwalten. Sie haben die Praxiserfahrung.“

Als Wohnungseigentümer- und Verbraucherschutzverband vertritt Wohnen im Eigentum den Standpunkt, dass sich das Wohnungseigentumsgesetz gut für ein partizipatives Gesetzgebungsverfahren eignet:

  • Zum einen handelt es sich um ein Spezialgesetz, dessen Zielgruppe im Vergleich zu anderen Gesetzen klar umrissen, eindeutig und übersichtlich ist. Es gibt keine grundsätzlich gegenläufigen Interessen innerhalb der Zielgruppe wie zum Beispiel beim Mietrecht, in dem die Interessen sowohl der Vermieter*innen als auch Mieter*innen berücksichtigt werden müssen.
  • Des Weiteren tragen die Wohnungseigentümer*innen die Folgen, die Kosten und die Bürde des Wohnungseigentumsgesetzes. Sie sind die direkt Betroffenen, die Verantwortlichen für die direkte und korrekte Umsetzung des Gesetzes, die Leidtragenden … Es ist somit „ihr Gesetz“.
  • Als direkt Betroffene und Expert*innen in eigener Sache kennen sie die Defizite und Probleme des Wohnungseigentumsgesetzes und haben Verbesserungsvorschläge. Bisher wurden Änderungen im WEGesetzes einzig und allein von einem ausgewählten Kreis an Juristen unter rein rechtlichen Aspekten erdacht, entwickelt und ausgestaltet.
  • Schlussendlich sind die Wohnungseigentümer*innen vom Gesetzgeber noch nie nach ihrem gesetzlichen Regelungsbedarf befragt worden: nach ihren Problemen mit dem WEGesetz, nach ihren Praxiserfahrungen, nach Problemlösungsvorschlägen für das Gesetz. Es gibt bis heute nicht einmal eine Evaluation des Gesetzes oder eine Befragung der Wohnungseigentümer*innen durch das Bundesjustizministerium (BMJ).

Aus diesem Grund ist es nicht nur naheliegend, sondern geboten, die Wohnungseigentümer*innen direkt am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen – als Experten in eigener Sache. „Bundesjustizminister Buschmann hat sich bereits 2019 positiv zu Bürgerräten geäußert. Dann sollte er jetzt die Chance nutzen, die Bürgerbeteiligung in seinem eigenen Ministerium in diesem ganz konkreten Fall zu erproben.“ konstatiert Heinrich.

Angesichts der inzwischen vorliegenden Erfahrungen und der zunehmenden Zahl an Bürgerräten für mehr Demokratie und angesichts der gesellschaftlichen Diskussionen über Bürgerbeteiligungen zur Klimawende oder bei der EU, Partizipation der Behinderten an der Sozialgesetzgebung, der Forderung nach Kinder- und Jugendparlamenten, nach Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre etc. fordert WiE das Bundesjustizministerium (BMJ) auf, das Wohnungseigentumsgesetz ganz oben auf die Prioritätenliste für ein partizipatives Gesetzgebungsverfahren zu setzen.

„In einer Demokratie sollte jeder betroffene Teil der Zivilgesellschaft - hier die Wohnungseigentümer*innen - die Möglichkeit haben, sich politisch einzubringen und nicht erst mit den bereits gefällten politischen Entscheidungen konfrontiert werden. Bei negativen Folgewirkungen nährt politisches Handeln „über die Köpfe hinweg“ die Politikverdrossenheit.“ So das Fazit von Heinrich.