Achtung, neues WEGesetz seit 01.12.2020! Bitte achten Sie auf das Datum der Veröffentlichungen!

11.01.2019. Wohnungseigentümer und WiE-Mitglied Harald Neumann sowie einige Miteigentümer wollten angesichts ihres fortschreitenden Alters einen Fahrstuhl in ihr Mehrfamilienhaus aus der Gründerzeit in Hamburg-Rotherbaum einbauen lassen. Die Gegner der Maßnahme fochten den Beschluss der WEG, der mit doppelt qualifizierter Mehrheit gefasst worden war, jedoch an – obwohl sie von sämtlichen Kosten freigestellt worden waren. Das Projekt scheiterte vor Gericht in erster und zweiter Instanz – zur großen Enttäuschung von Harald Neumann, wie er hier berichtet.

WiE: „Herr Neumann, wie sehen Sie und Ihre Mitstreiter die Urteile?“

Harald Neumann:  „Von dem Urteil in erster Instanz waren wir schockiert. Der Amtsrichter folgte im Wesentlichen den Argumenten der Kläger. Neben formalen Mängeln des Beschlusses monierte er angebliche Planungsfehler, unbillige Beeinträchtigungen von Miteigentümern und auch die Änderung der Eigenart der Wohnanlage durch einen modernen Fahrstuhl. Erkennbar war, dass er der Erhaltung des Status quo gegenüber dem Nutzwert eines Aufzugs einen sehr hohen Rang einräumte.

Immerhin stellte das Landgericht Hamburg im September 2018 im Berufungsverfahren klar, dass die Nachrüstung eines Aufzugs eine Modernisierungsmaßnahme ist und damit grundsätzlich mit doppelt qualifizierter Mehrheit – wie erfolgt – beschlossen werden kann. Zudem stellte das Gericht fest, dass ein solches Projekt einzelne Eigentümer nicht unzumutbar beeinträchtige. Auch werde die Eigenart der Wohnanlage durch den nachträglichen Einbau eines Innenaufzugs nicht verändert. Leider folgte dieser erfreulichen sachlichen Beurteilung im Urteil dann eine formal-juristische Betrachtung, warum der Beschluss unserer Eigentümerversammlung dennoch nicht umgesetzt werden darf.“

WiE: „Und warum nicht?“

Harald Neumann: „Drei in dem Gesamtbeschluss enthaltene Unterbeschlüsse hätten nach Meinung des Landgerichts nur als Vereinbarung aller Eigentümer gefasst werden können. Hier habe eine Eigentümerversammlung nicht die Kompetenz, Änderungen per Mehrheit zu beschließen. Wir hatten den Gegnern der Maßnahme Zugeständnisse machen wollen und hatten aufgrund  § 16 Abs. 4 WEGesetz die Regelung beschlossen, dass man sich nicht an den Kosten für den Einbau, die Instandhaltung und die Wartung des Aufzugs beteiligen muss, wenn man auf die Nutzung des Aufzugs verzichtet. Das wurde uns zum Verhängnis, denn das Landgericht vertrat die Auffassung, dass so für die Zahler ein Sondernutzungsrecht am Gemeinschaftseigentum konstituiert werde – und das sei nicht per Mehrheitsbeschluss möglich, sondern nur durch eine Vereinbarung, die alle unterschreiben - was ja logisch schwer denkbar ist, wenn Miteigentümer keinen Fahrstuhl wollen. Dass in unserem Fall der ´Ausschluss` von der Nutzung freiwillig erklärt wird, hat das Gericht nicht gewürdigt. Auch bezüglich der künftigen Instandhaltung durch die Fahrstuhlnutzer, vertritt das Landgericht Hamburg die Auffassung, dass es sich um eine Folgekostenregelung und nicht um eine ´Einzelmaßnahme` handelt und daher nicht per Beschluss geregelt werden könne. Das Urteil des Landgerichts entpuppt sich somit trotz positiver Anteile gegenüber der ersten Instanz zum Leidwesen der Betroffenen als ein weiteres Beispiel der widersprüchlichen Rechtsprechung zu einer stark reformbedürftigen Gesetzgebung.“

WiE: „Wo sehen Sie die Schwächen des derzeitigen Wohnungseigentumsgesetzes (WEGesetz)?“

Harald Neumann: „Wir halten die Rechtssituation für unbefriedigend, weil widersprüchlich: Einerseits war es die Intention der Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes von 2007, bei bestimmten Beschlüssen die Zustimmung aller betroffenen Eigentümer durch die einer doppelt qualifizierte Mehrheit zu ersetzen – dann nämlich, wenn es um eine sinnvolle Wohnwertverbesserung der Immobilie geht. Inkonsequenterweise gilt dieser Allstimmigkeitsersatz nicht für alle entscheidungsrelevanten Teilaspekte der Maßnahme, selbst dann nicht, wenn eine `unbillige` Beeinträchtigung der überstimmten Miteigentümer wohl nicht zu erwarten ist. Wenn für einzelne maßnahmenbezogene Folgeentscheidungen wie vom Landgericht Hamburg eine Vereinbarung gefordert wird, wird unserer Meinung nach die Modernisierungsklausel des Gesetzes entwertet und kann ihrem Zweck nicht mehr gerecht werden.

Außerdem gilt das WEGesetz in der jetzigen Form als ‘Richtergesetz’. Es enthält viele Begrifflichkeiten, die nicht näher definiert sind. Das sorgt für eine große Rechtsunsicherheit und eine große Zahl an Streitfällen, die letztlich vor Gericht ausgetragen werden. Die Richter müssen dann die nicht näher definierten Begrifflichkeiten auslegen, was zu widersprüchlichen Urteilen führt.“

WiE: „Welche Änderungen erhoffen Sie sich von der Reform des WEGesetzes?“

Harald Neumann: “Angesichts des demografischen Wandels der Gesellschaft müssen barrierereduzierende Maßnahmen einfacher umgesetzt werden können. Für barrierereduzierende Maßnahmen müsste, wie bei Instandhaltungsarbeiten, ein einfacher Mehrheitsbeschluss der Eigentümergemeinschaft ausreichen oder – wie es auch Wohnen im Eigentum fordert – sogar ein Duldungsanspruch per Gesetz bestehen. Das ist bei Treppenliften ja schon der Fall. Um die Rechtsposition älterer Menschen und Menschen mit Behinderung zu verbessern, haben wir eine Petition beim Bundestag eingereicht.“

WiE: „Wie geht es jetzt für Sie weiter?“

Harald Neumann: “Da die Prozesskosten von über 30.000 Euro schon bis jetzt sehr hoch waren und Gerichtsverfahren in der Regel lange dauern, haben wir uns dagegen entschieden, vor den Bundesgerichtshof zu ziehen, zumal wir dafür erst gegen das Revisionsverbot des Landgerichts hätten klagen müssen. Das Landgericht sah sich ja nicht dafür zuständig, einen formal ´´richtigen` Beschluss zu skizzieren oder gar in Kraft zu setzen. So müssen wir das Projekt im Grunde wieder neu beginnen oder aber dem ´Ende mit Schrecken` entgegensehen: den Auszug aus den seit Jahrzehnten bewohnten `eigenen vier Wänden`.

Unter den Fahrstuhlbefürwortern ist ein mittlerweile 86-jähriger gehbehinderter Mann, der jetzt nur noch mit Hilfe professioneller Krankenhelfer die Treppen bewältigen kann. Diesen Umstand vor Augen tragen sich die übrigen Betroffenen auch bereits mit Umzugsgedanken. Aber abgesehen von dem Umzugsaufwand ist es fast unmöglich, in der gewohnten Umgebung, die zu den begehrtesten Wohnlagen in Hamburg gehört, eine vergleichbare Wohnung – mit Aufzug! –- zu erträglichen Konditionen zu finden. Leicht überspitzt könnte man diese damit drohende Verdrängung aus Wohnung und Stadtteil  ´Gentrifizierung nach WEG-Art` nennen: kein Platz mehr für Alte und Kranke.“

WiE: „Wie ist Ihr Fazit?“

Harald Neumann: „Vier Jahre juristische Auseinandersetzung und zigtausende Euro für Gerichte, Anwälte und Gutachter, so empfinden wir es, sind ein zu teures Lehrgeld, um zu erfahren, dass man es nach gerichtlicher Auslegung formal ´falsch` gemacht hat, denn unseren juristischen Beratern zufolge wurde mit dem Beschluss nicht explizit gegen die ´Buchstaben des Gesetzes` verstoßen. Was uns und viele andere zudem befremdet, ist das undemokratische Element, denn die Maßnahme war ja mit überwältigender Dreiviertel-Mehrheit in der Eigentümerversammlung beschlossen worden.“

WiE: „Und wie sehen Sie ihr Projekt in Bezug auf die Gesellschaft?“

Harald Neumann: „Viele der Menschen, mit denen ich über das Projekt gesprochen habe, sehen darin ebenso wie ich  ein  Beispiel für zunehmende Individualisierung  in der Gesellschaft und abnehmende Solidarität des Einzelnen mit den Mitmenschen, in diesem Fall den Nachbarn.  Wohnungseigentümergemeinschaften stellen für viele in der heutigen individualisierten Gesellschaft eine Art Zwangsgemeinschaft dar, die man nur notgedrungen akzeptiert. In unserer WEG mit Eigentümern, die ihre Wohnungen überwiegend selbst nutzen, gab es lange Zeit ein Geben und Nehmen und man hat sich nachbarschaftlich unterstützt.

Wir haben uns auch deshalb sehr bemüht, in der Vorbereitungsphase des Projekts alle Eigentümer, auch die jüngeren, neu zugezogenen, mit ins Boot zu nehmen und alle Wünsche zu berücksichtigen. Auch nach der Anfechtung haben wir versucht, uns mit den Gegnern des Projekts außergerichtlich zu einigen, sind aber nicht zusammengekommen. Nach wie vor glauben wir, dass wir ein sinnvolles wohnwertverbesserndes Projekt für die WEG mit einer sehr fairen Kostenregelung vorgeschlagen bzw. beschlossen haben und sind mehr als frustriert darüber, dass die Rechtsprechung auf der Basis der heutigen Gesetzeslage dieses anders beurteilt. Für uns ist das Ganze auch angesichts des verfassungsmäßigen Rangs der Gleichstellung Behinderter und der demografischen Entwicklung völlig unverständlich.“