30.04.2019. Aktuell befasst sich eine Bund-Länder-AG mit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes und will etwa im Sommer ihren Ergebnisbericht mit Reformvorschlägen vorlegen. Wohnen im Eigentum (WiE) hat die Berichterstatter der verschiedenen Fraktionen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags, der für die Reform des WEGesetzes federführend ist, befragt. Was Chris Kühn (Bündnis 90 / Die Grünen) von der Reform erwartet und wo er dringend Handlungsbedarf sieht, lesen Sie im Folgenden. Die Interviewreihe wird sukzessive erweitert.

Die Berichterstatter nehmen im Ausschuss in der Regel für ihre Fraktion Stellung, wenn über Vorlagen, zum Beispiel zur WEGesetzreform, beraten wird.

WiE: „Herr Kühn, was sollte/n aus Ihrer Sicht das Ziel bzw. die Ziele der Gesetzreform sein und in welchen Bereichen sehen Sie den größten Reformbedarf?“

Chris Kühn: „Das ganze WEGesetz ist eine große Reformbaustelle. Ursprünglich wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg kurz zusammengeschustert, und dann mehrfach novelliert. Die Konstruktionsfehler, die das Gesetz beinhaltet, sind aber durch diese Reformen nicht behoben worden: Es ist sehr streitanfällig, beinhaltet zu wenig Verbraucherschutzelemente, und ein Stück weit ist es auch ein Modernisierungsblockierer. Es braucht hier dringend einen grundsätzlichen, umfassenden neuen Gesetzentwurf. Zu sagen, „wir machen jetzt nur etwas im Bereich Barrierefreiheit oder E-Mobilität“, reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen eine große Novelle. Diese hatte die Große Koalition auch angekündigt, und sie ist es denjenigen Menschen in Deutschland, die eine Eigentumswohnung besitzen, auch schuldig.

Ein weiterer entscheidender Handlungsbedarf besteht beim Thema des Sachkundenachweises auf Seiten der Verwalter. Das muss im Gesetzgebungsprozess vordringlich auf die Tagesordnung. Ohne eine Verbesserung in diesem Punkt wird die angekündigte Reform wirkungslos verpuffen.“

 

2. WiE: "Ein paar Stichworte: Was müsste aus Ihrer Sicht geändert werden bezüglich baulicher Veränderungen, Eigentümerversammlungen, Verwaltung, Verwaltungsbeirat, Harmonisierung WEG-Recht und Mietrecht?"

Chris Kühn: „Wenn man auf das derzeitige WEG-Recht schaut, dann muss man klar konstatieren: Derzeit sind die Hürden für eine energetische Gebäudesanierung oder einen altersgerechten Umbau viel zu hoch. Wenn man sich die Sanierungsraten von Wohnungseigentümergemeinschaften im Vergleich zu denen von Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften anschaut, aber auch zu Einzelhausbesitzern und Einzelhausbesitzerinnen, stellt man fest, dass diese in WEGs sehr gering sind. Das hängt natürlich von der Struktur der Eigentümerversammlungen und der Höhe der Quoren ab. Hier braucht es eine Absenkung der nötigen Quoren für bestimmte Modernisierungen, um diese leichter vornehmen zu können, sei es eben bei altersgerechten Anpassungen oder beim Bereich Ladesäulen für E-Autos.

Des Weiteren braucht es eine Klarstellung der Rolle des Verwalters, und auch des Verwaltungsbeirates. Es braucht die Möglichkeit der Konteneinsichtnahme für diejenigen, die in einer Wohnungseigentümergemeinschaft leben. Grundsätzlich wollen wir mehr Transparenz schaffen und eine Harmonisierung von WEG-Recht und Mietrecht. Eine Kostenabrechnung wie im WEG-Recht wäre nämlich im Mietrecht gar nicht in dieser Form möglich. Das provoziert immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen, allein im Jahr 2012 gab es hierzu 28.000 Amtsgerichtsverfahren mit steigender Tendenz. Ich glaube, ein solches Gesetz sollte zuvorderst keine Konjunkturmaschine für Anwälte sein, sondern es sollte Verbraucherinnen und Verbraucher effektiv schützen. Und deswegen gibt es in all diesen Fragen Reformbedarf beim WEG-Recht.“

3. WiE: "Sind Sie der Meinung, dass bei der Reform des WEGesetzes auch der Verbraucherschutz mit im Auge behalten oder sogar stark berücksichtigt werden sollte?"

Chris Kühn: „Wir in Deutschland haben einen einseitigen Blick auf das Thema 'Eigentum'. Eigentümer und Eigentümerinnen werden viel zu wenig als Verbaucher und Verbaucherinnen wahrgenommen. Der Kauf einer Eigentumswohnung ist in der Regel das größte Investment im Laufe eines Lebens. Es geht hier um hunderttausende Euro und man zahlt lange seinen Kredit ab – dann aber braucht ein Mensch hier auch einen größtmöglichen Schutz. Und auch jemand, der oder die Eigentum erworben hat, muss auch staatlicherseits entsprechend geschützt werden. Es darf nicht immer wieder zu Problemen kommen, etwa in Fragen der Rücklagen, von Modernisierungen, oder auch hinsichtlich der Fragen von Transparenz, sprich, was eigentlich mit dem eingezahlten Kapital in der WEG passiert. Der Verbraucheraspekt muss wesentlich gestärkt werden, sodass wir das WEGesetz hin zu einem echten Verbraucherschutzgesetz weiterentwickeln. Verbraucherschutz muss die Richtschnur der Novelle sein.“

4. WiE: "WiE führt gerade eine Umfrage unter Wohnungseigentümern durch, um zu erfragen, was die Eigentümer selbst wollen. Was halten Sie davon, die Wohnungseigentümer als direkt Betroffene über das Gesetzgebungsverfahren laufend zu informieren und sogar zu befragen? Oder meinen Sie, dass das Thema für sie zu kompliziert und daher eher eine Sache für Fachleute ist, also in erster Linie Juristen?"

Chris Kühn: „Ich glaube, dass es sehr gut ist, wenn über Gesetzgebungsverfahren intensiv beraten und informiert wird. Wenn sich dort Verbände, Einzelpersonen, aber auch Fachleute und Juristen einbringen, ist das gut. Es ist auch gut, wenn wir Politikerinnen und Politiker uns auf diesem Wege ein möglichst umfassendes Bild machen können und ganz direkt die Sichtweise der BürgerInnen mit hineinnehmen können. Ich selbst plane im Zuge dieser Novelle beispielweise auch WEGs in meinem Wahlkreis zu besuchen, um mir auch wirklich vor Ort ein authentisches Bild machen zu können, und dies natürlich auch in die Gesetzgebungsberatung mit hineinzunehmen. Und wenn Verbände wie „Wohnen im Eigentum“ hierzu Umfragen organisieren, dann nehme ich das selbstverständlich auch gern zu Kenntnis, weil dieses ja auch fachliche Meldungen sind, die für uns Relevanz haben.

Ich komme aus Baden-Württemberg, wo wir eine Politik des Gehörtwerdens verfolgen, und hier geht es nicht allein um Meldungen aus den Verbänden, sondern vor allem auch um solche aus der Bürgerschaft.“

5. WiE: "Angesichts der wieder erstarkten Klimaschutzdiskussion gibt es politischen Druck aus dem Verkehrs- und Umweltministerium und sicherlich auch von der Autoindustrie, die Schaffung von Ladestationen für E-Autos in Wohnungseigentumsanlagen vorrangig zu regeln. Halten auch Sie dieses Anliegen für wichtig genug, um es vorzuziehen vor eine umfassende Reform des WEGesetzes oder besteht dann die Gefahr, dass eine umfassende Modernisierung des WEGesetzes auf die nächste Legislaturperiode oder sogar auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wird?"

Chris Kühn: „Ich spreche mich hier sehr klar für eine umfassende Novelle aus. Hier jetzt einzelne Teile herausbrechen zu wollen birgt die Gefahr, die gesamte Novelle am Ende doch in die nächste Wahlperiode hinauszuschieben. Die Debatte über die Frage des Wohnungseigentumsgesetzes und eine notwendige Novelle gibt es aber ja schon recht lange, und ich glaube, die steht jetzt einfach an. Viele Baustellen – nicht nur die E- Mobilität, nicht nur der Klimaschutz -, auch die Frage von Rechts- und Verbraucherschutz spielen eine große Rolle. Ich rate davon ab, gerade jetzt Druck wegzunehmen, indem man einzelne Bereiche, die gerade sehr breit diskutiert werden, herausbricht. Das ist aus meiner Sicht ein klarer Fehler. Wenn man die Anforderungen rund um die E-Mobilität neu regeln will, dann kann man auch gleich umfassend an das Thema rangehen, weil selbstverständlich auch die Fragen der Quoren, Höhen und der Modernisierung ja nicht allein hier eine Rolle spielen, sondern auch bei der Barrierefreiheit, dem altersgerechten Umbau und anderen baulichen Fragen. Ich glaube, dann muss man auch an das Gesetz in Gänze herangehen.“

6. WiE: "Zum Abschluss: Haben Sie selbst eine Eigentumswohnung?"

Chris Kühn: „Nein. Aber die Nöte rund um das WE-Gesetz sind mir aus meinem familiären Umfeld bestens bekannt. Die Berichte aus den diesbezüglichen Eigentümerversammlungen – was dort alles nicht geht – zu hören, gleicht einem Drama, etwa wenn einer Frau, die auf Barrierefreiheit angewiesen ist, letztendlich de facto der barrierefreie Zugang zu Lichtschaltern verwehrt wird.“

WiE: "Herr Kühn, vielen Dank für das Interview."

Wohnen im Eigentum wird an dieser Stelle sukzessive weitere Interviews mit Berichterstattern der Fraktionen zur WEGesetz-Reform im Rechtsauschuss des Deutschen Bundestages veröffentlichen.

Weitere Informationen zur Reform des Wohnungseigentumsgesetzes