26.02.24. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei Verfahren über die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums entschieden, die von einzelnen Wohnungseigentümer*innen als privilegierte Maßnahmen zur Barrierereduzierung (Errichtung eines Personenaufzugs bzw. Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe und Umbau des Wohnzimmerfensters in eine Terrassentür) verlangt wurden. „Wir begrüßen die Urteile, die die Durchführung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit erleichtern werden“, so Gabriele Heinrich, Vorständin von Wohnen im Eigentum, „auch wenn WEGs damit in Kauf nehmen müssen, dass die Nutzung eines Teils der Gemeinschaftsflächen durch die übrigen Eigentümer*innen eingeschränkt wird“.

In einem Fall (Az. BGH V ZR 244/22) wollte ein Eigentümer einen Außenaufzug am Hinterhaus eines Jugendstilensembles errichten. Ein entsprechender Beschluss wurde ihm verweigert. Das Amtsgericht wies die auf Beschlussfassung gerichtete Klage ab, während das Landgericht den nicht gefassten Beschluss selbst fasste – und damit die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer*innen grundsätzlich zur Gestattung des Aufzugs verpflichtete (zum „Ob“ der Maßnahme). Die Details (das „Wie“) wären dann in einem späteren Beschluss noch zu klären gewesen. Die Gemeinschaft wehrte sich vor dem BGH weiter gegen die Gestattung des „Ob“, allerdings ohne Erfolg.

Dass sich der BGH hier vor die schützenswerte Minderheit stellt, hält Wohnen im Eigentum für richtig. „Barrierefreiheit muss hier ganz klar Vorrang haben“, so Heinrich.

Bei Mehrheitsbeschluss: Keine Frage der Angemessenheit

In dem zweiten Fall (Az. BGH V ZR 33/23) setzte der BGH die obige Linie fort. Hier wollte eine Eigentümerin als barrierfreien Zugang eine Rampe zur Terrasse ihrer Erdgeschosswohnung einbauen und das Doppelfenster im Wohnzimmer durch eine Tür ersetzen. Die Durchführung wurde von der Gemeinschaft gestattet. Gegen diesen Gestattungsbeschluss wandten sich andere Eigentümer*innen und erhielten zunächst vor dem Amtsgericht und dem Landgericht Recht. Die beiden Instanzen waren der Auffassung, dass die bauliche Veränderung dem Gebäude ein luxuriöseres Gepräge gebe und deshalb nicht angemessen sei. Der BGH hat dies aber verneint und damit den Beschluss über die bauliche Veränderung aufrechterhalten. Zur Begründung führt der BGH aus, dass es auf die Frage der Angemessenheit dann nicht ankomme, wenn der begehrte Beschluss mit einer Mehrheit der Stimmen zustandekomme. Nur dann, wenn ein Beschluss abgelehnt werde, müsse der bzw. diejenige Eigentümer*in, die diesen Beschluss will, geltend machen, dass die Maßnahme angemessen sei. Der BGH geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt klar, dass eine Gemeinschaft eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheitsbeschluss gestatten kann, wenn sie Zweifel daran hegt, ob eine (angemessene) privilegierte Maßnahme vorliegt. Die Grenze bildet nur die „Veränderungssperre“ – es darf keine grundlegende Umgestaltung oder unbillige Benachteiligung einzelner Wohnungseigentümer*innen vorliegen. Auch das verneint der BGH hier, weil es sich nur um einen untergeordneten Anbau handelt.

Fazit: BGH ordnet privilegierte Maßnahmen nach dem Wohnungseigentumsgesetz als grundsätzlich angemessen ein

Der Bundesgerichtshof hat mit den beiden Entscheidungen klargestellt, dass privilegierte bauliche Veränderungen, die der Barrierereduzierung dienen (gemäß § 20 WEGesetz), im Grundsatz – d.h. in den allermeisten Fällen – angemessen sind. Als unangemessen gilt demnach nur noch der „atypische Sonderfall“. Das bedeutet auch, dass die WEG bei Ablehnung einer barrierefreien Maßnahme darzulegen hat, warum ein solch atypischer Fall ausnahmsweise vorliegt.

Umgekehrt – das war Gegenstand des zweiten BGH-Urteils zum Anbau einer Rampe – hat der BGH klargestellt, dass sich die Frage der Angemessenheit einer Maßnahme für mehr Barrierefreiheit nicht mehr stellt, wenn ein einfacher Mehrheitsbeschluss in der Eigentümerversammlung zustande gekommen ist. „Die Mehrheit kann sich also auch bei Zweifeln über die Angemessenheit dazu entschließen, die Maßnahme trotzdem zu gestatten. Das ist dann bindend. Die Kosten sind kein Gegenargument, weil sie der Eigentümer trägt, der die Maßnahme verlangt“, so Heinrich zur Erläuterung der Entscheidung. Einzelne Eigentümer*innen können aber nach wie vor einen Beschluss anfechten, wenn die Anlage grundlegend umgestaltet wird oder sie selbst durch die Maßnahme benachteiligt werden. „Dafür reicht aber gerade nicht jede optische Veränderung. Auch hier gilt bei privilegierten Maßnahmen der Grundsatz, dass die meisten Umgestaltungen nicht als grundlegende Umgestaltung gelten oder anzusehen sind“, so Heinrich.