Bundesjustizministerium startet Gesetzgebungsverfahren für reine Online-Wohnungseigentümerversammlung/ Wohnen im Eigentum warnt vor gravierenden Folgen für technisch unbewanderte Eigentümer*innen/Wohnungseigentümer*innen werden ausgegrenzt und Eigentümergemeinschaften gespalten

27.06.2023. Der Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum (WiE) kritisiert, dass künftig reine Online-Eigentümerversammlungen, auch virtuelle Eigentümerversammlungen genannt, bereits mit einer 3/4-Mehrheit beschlossen werden könnten. Dies sieht ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor. Das BMJ sieht als Vorbild für die Neuregelung die Aktionärs- oder Gesellschafterversammlungen, wo virtuelle Versammlungen zulässig sind. Das Wohnungseigentum und die Herausforderungen in einer Eigentümerversammlung unterscheiden sich jedoch grundlegend von diesen. WiE stellt die Notwendigkeit dieser Gesetzesänderung in Frage und fordert die Streichung dieser Regelung aus dem Entwurf.

Beim Ausgestalten der neuen Regelung zur reinen Online-Eigentümerversammlung, bei der niemand mehr in Präsenz teilnimmt, orientiert sich das BMJ an der Rechtslage im Aktienrecht, ohne dies inhaltlich näher zu begründen. „Der Vergleich mit der Aktiengesellschaft, den das Bundesjustizministerium hier aufmacht, ist vollkommen ‚daneben‘“, sagt Gabriele Heinrich, Vorständin des Vereins Wohnen im Eigentum (WiE). „Wohnungseigentümergemeinschaften kann (und darf) man nicht mit Aktiengesellschaften vergleichen.“ Während es Aktionären primär um Gewinnerzielung gehe und die Aktie Spekulationsobjekt ist, geht es beim Wohnungseigentum um die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums, um das gemeinsame Wohnen und um den Werterhalt der Immobilie. Für einen Großteil der Wohnungseigentümer*innen ist die selbst genutzte Wohnung der private Lebensmittelpunkt – die „Dritte Haut“, die dünnhäutig wird, wenn es Probleme gibt oder unerwartete Veränderungen. Dies gilt insbesondere für ältere Wohnungseigentümer*innen, die seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung leben. „Hier geht es um das Grundbedürfnis Wohnen“, so Heinrich. Deshalb muss nicht nur für die älteren Wohnungseigentümer*innen weiterhin gewährleistet bleiben, dass sie auch persönlich vor Ort an der Eigentümerversammlung teilnehmen können. 

Finanzielle Folgen können auch die treffen, die sich nicht an Eigentümerversammlungen beteiligen konnten

Weiterer gravierender Unterschied zwischen Aktien und Eigentumswohnungen: „Treffen Aktionäre eine falsche Entscheidung, fällt der Wert der Aktie maximal auf null Euro – nachgezahlt werden muss nicht“, macht Michael Nack, Rechtsreferent von WiE, deutlich. Entscheidungen, die bei einer Eigentümerversammlung getroffen werden, können hingegen mit weitreichenden finanziellen Folgen verbunden sein. „Wenn zum Beispiel für eine Sanierungsmaßnahme eine Sonderumlage beschlossen wird, kann dies bedeuten, dass Eigentümer*innen viel Geld draufzahlen müssen“, so Nack. „An solchen Entscheidungsprozessen müssen alle Wohnungseigentümer*innen beteiligt sein.“

Ein weiterer Schwachpunkt: Der Referentenentwurf enthält im Gegensatz zum Aktiengesetz keine detaillierten Regelungen, wie eine virtuelle Eigentümerversammlung abzulaufen hat. „Wie kann sichergestellt werden, dass die Abstimmung ordnungsgemäß erfolgt und die Redefreiheit gewährleistet wird?“, fragt Heinrich. Nicht mal ein Verbraucher-Schutzkonzept ist im Entwurf für die Eigentümer*innen vorgesehen, damit sie ihre Rechte auch wirklich ausüben können. Gerade bei komplexen Fragen wie einem Heizungstausch müssten alle Eigentümer*innen ins Boot geholt werden und die Möglichkeit zur Mitsprache haben. „Es gehört zum Wesen einer Eigentümerversammlung, Diskussionen von Angesicht zu Angesicht führen zu können“, so Heinrich.

Regelung nicht notwendig - bereits jetzt sind hybride Veranstaltungen möglich

WiE stellt zudem die Notwendigkeit dieser Gesetzesänderung in Frage. Sie bringt weder „Fortschritt“ noch „Freiheit“ noch „Innovationen“ – wie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) unbescheiden behauptet. „Wofür das Ganze?“, fragt . Bereits jetzt können Eigentümerversammlungen in hybrider Form, d.h. als Präsenzveranstaltung mit Online-Teilnahmemöglichkeit, abgehalten werden. Sind außerdem alle Wohnungseigentümer*innen dafür, kann bereits jetzt die Eigentümerversammlung als reine Online-Veranstaltung vereinbart werden.

Zum Hintergrund: Trotz vieler starker Argumente, von Wohnen im Eigentum (WiE), der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) sowie von einer Gruppe von Richtern und Juristen bereits im letzten Jahr vorgetragen, legt das Bundesjustizministerium (BMJ) den Referentenentwurf jetzt vor und startet damit das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes. Seine Planungen, reine Online-Eigentümerversammlungen zu ermöglichen, wenn alle anwesenden und vertretenen Wohnungseigentümer*innen in einer Eigentümerversammlung dafür stimmen, hat es im Entwurf sogar noch verschärft: Jetzt soll eine Quote von 75% der abgegebenen Stimmen in der Eigentümerversammlung ausreichen, um die folgenden Eigentümerversammlungen als reine Online-Versammlung (= virtuelle Versammlung) durchzuführen.

Die Argumente für die Gesetzesänderung sind deutlich überschaubar und leichtgewichtig - im Vergleich zu den Gegenargumenten. Erleichterungen und weniger Verwaltungsaufwand soll die Änderung bringen. Aufgeführt wird eine Kostenersparnis von 100 Euro pro Wohnungseigentümergemeinschaft und für die Verwaltungen eine Zeitersparnis von 70 Minuten pro Versammlung. Die Auswirkungen dieser scheinbar einfachen Gesetzesänderung werden für die Wohnungseigentümer*innen und Wohnungseigentümergemeinschaften allerdings gravierend sein:

  • Ältere, nicht technisch bewanderte Wohnungseigentümer*innen können ausgegrenzt werden.
  • Wohnungseigentümer*innen werden ihre Kernrechte (Rede-, Frage-, Beschlussantrags- und Stimmrechte) entzogen,
  • Wohnungseigentümergemeinschaften werden gespalten, die „Gemeinschaft“ nicht befördert, sondern destabilisiert und verletzt.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema: